Dr. Thorsten Weidig ist seit 2005 als Sportpsychologe in den unterschiedlichsten Sportarten tätig, unter anderem drei Jahre für den HSV sowie aktuell für den Olympiastützpunkt Hamburg/Schleswig-Holstein. Auf dem BISp-Symposium 2013 „Erfolgsfaktor Trainer ..." hat er einen Vortrag zum Thema „Trainerkompetenz in Wettkampfpausen“ gehalten und über seine Studie zu „Trainerverhalten in Wettkampfpausen“ berichtet.
Im Interview gibt er Auskunft über die Erkenntnisse, die sich daraus für die praktische Arbeit von Sportpsychologen ergeben.
Wie kamen Sie auf das Thema?
Meine persönliche Motivation war, dass ich nach meinem Studium der Psychologie gerne sportpsychologisch arbeiten wollte. Die Verbindung von Psychologie und Sport hatte sich für mich schon sehr früh ergeben. Da ich selbst sportlich sehr aktiv war, hatte ich mich gefragt, inwieweit die Erkenntnisse, die ich im Psychologie-Studium gelernt habe, auch auf den Sport anwendbar sind. Ich habe dann Sport im Nebenfach studiert und für meine Diplomarbeit ein sportpsychologisches Thema gewählt. Seit dem war für mich klar, dass ich in der angewandten Sportpsychologie arbeiten wollte, auch wenn es zu dem Zeitpunkt noch kaum entsprechende Möglichkeiten gab. Das war auch der Grund, warum ich am asp-Curriculum teilgenommen habe.
Ich bekam dann das Angebot, an der Universität Bochum ein Forschungsprojekt zu betreuen. Das Forschungsthema sollte sowohl wissenschaftlich als auch in der Anwendung interessant sein, weil mich beide Seiten persönlich sehr interessieren, also Forschen und Umsetzen und von der Praxis wieder Impulse in die Forschung geben. Bei der Suche ist mir aufgefallen, dass der Trainer einerseits die wichtigste Einflussgröße außerhalb des Sportlers selber ist, zugleich relativ wenig über ihn erforscht ist. Von den vielen möglichen Themen im Zusammenhang mit der Person des Trainers kristallisierte sich dann für meine Forschung die Wettkampfpause heraus. Trainer gestalten diese besondere, vom Regelwerk definierte Situation, in der sie nochmals die Möglichkeit haben, auf die Mannschaft bzw. den einzelnen Sportler Einfluss zu nehmen.
Können Sie etwas über die Studie und ihre Entwicklung berichten?
Zwischen 2005 und 2009 habe ich das BISp-geförderte Projekt „Trainerkompetenz in Wettkampfpausen“ betreut. Zunächst war nur geplant, einen Fragebogen zu entwickeln, der das Trainerverhalten in Wettkampfpausen aus Trainer- und Sportlersicht erfasst. Dann habe ich mich entschieden, auch noch die Experten-Perspektive hinzuzunehmen – also die sportpsychologische Sicht, so dass damit ein Instrument entstanden ist, das erstmalig Trainerverhalten aus drei Perspektiven erfasst. Zusätzlich wurde auch noch ein Manual entwickelt, wie der Fragebogen anzuwenden ist.
Ziel der Studie war es, das Verhalten von Trainerinnen und Trainer in Wettkampfpausen erfassbar zu machen mit der Absicht, ihnen Informationen liefern zu können, auf welche vorhandenen Stärken sie aufbauen können und welche Schwächen bestehen. Dies wiederum vor dem Hintergrund, ihnen etwas an die Hand zu geben, damit sie es zukünftig besser machen können. Ein typisches Beispiel ist hier die sinnvolle Nutzung von Anweisungen und Korrekturen durch den Trainer. Da die Informationsverarbeitungskapazität der Sportler in den Pausen begrenzt ist, kann man als Faustregel sagen, dass mehr als 3 Ansagen zu technischen, taktischen oder mentalen Themen nicht verarbeitet werden können. Diese Fokussierung wiederum ist für Trainerinnen und Trainer die große Herausforderung, gerade, wenn es vor der Pause nicht gut gelaufen ist und das Bedürfnis groß ist, viel ändern zu wollen. Doch lange Ansagen helfen nicht, sondern sind oft sogar kontraproduktiv.
Zum einen ging es also darum, den Fragebogen zu entwickeln, zusätzlich musste ich aber auch eine Idee davon haben, was in der Pause passieren muss. Daher bildet der Fragebogen letztlich die Überlegungen zu dem ab, was notwendig ist, also die Vorgänge, Abläufe, Verhaltensweisen und Handlungen der Trainer.
Wie haben Sie sich diese Notwendigkeiten erschlossen?
Zum einen durch intensive Sichtung der Literatur und Zusammenführung verschiedenster Forschungsstränge wie etwa kommunikationspsychologische Aspekte, Gedächtnisforschung oder Aspekte zur Erholung. Hier zum Beispiel, dass wenn die Pause beginnt, man den Sportlern zunächst Zeit geben muss, ihr erhöhtes Aktivationsniveau zu senken, um Informationen verarbeiten zu können.
Auf der anderen Seite habe ich Experteninterviews geführt, d.h. mit Trainerinnen und Trainern, die erfolgreich sind bzw. ihre Tätigkeit auf hohem Leistungsniveau ausüben, Gespräche geführt. Diese praktische Validität mit einzubeziehen und zu hören, was Experten zu dem Thema denken, war mir sehr wichtig.
Wie ging es dann weiter?
Dann ging es darum, die Informationen zusammenzutragen und mit der Fragebogenentwicklung zu starten. Da der Fragebogen im Leistungssport eingesetzt werden soll, war es notwendig, Trainer- und Sportlerstichproben aus dem Leistungssport zu gewinnen.
Bei der Entwicklung des Pausenverhaltensfragebogens wurde eine zweistufige statistische Evaluation vollzogen. Zunächst wurde eine erste Form mit Trainern und Sportlern aus dem Spitzensport erhoben. Die Ergebnisse wurden gesichtet, der Bogen daraufhin überarbeitet und erneut Trainern und Sportlern vorgelegt. Wichtig war insgesamt, Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus vielen Sportarten einzubeziehen, damit der Fragebogen repräsentativer ist und somit breiter einsetzbar.
Zusätzlich habe ich eine Differenzierung vorgenommen. Ich habe nicht einen Fragebogen für alle Sportarten entwickelt, sondern unterteilt in Mannschaftssportarten und Individualsportarten. So mussten zwei Fragebogenversionen getrennt entwickelt werden. Die Unterschiede beginnen schon bei der Ansprache. Ein Fußballer würde sich nicht als Athlet, sondern als Spieler bezeichnen. Folglich würde ihn die Bezeichnung Athlet im Fragebogen irritieren. Manche Begrifflichkeiten aus Spielsportarten wiederum kann ich einem Individualsportler nicht vorlegen. Aussagen zu Teamprozessen machen im Individualsport keinen Sinn. Auch wenn, streng betrachtet, ein individueller Fragebogen für jede Sportart optimal wäre, war dies unter ökonomischen Gesichtspunkten nicht machbar, so dass als Kompromiss eine Unterscheidung und einzelne Evaluierung für Individual- und Mannschaftssportarten entstand.
Warum sind die Pausen während der Leistungserbringung so bedeutsam für Interventionen und welche Möglichkeiten haben Trainerinnen und Trainer denn in diesen Situationen überhaupt noch?
Hier erinnere ich mich an ein Zitat von Hockeyspieler Björn Emmerling. Er sagte nach einem gewonnenen WM-Finale, in dem die Mannschaft zur Pause zurücklag: „Nach der Halbzeitansprache vom Trainer war klar, dass wir als Sieger vom Platz gehen werden.“
Dies macht die Bedeutsamkeit der Pause für Sportler deutlich, aber auch die Chance, die sich für Trainer ergibt, nämlich eine geplante Steuerung, ein Gestaltungsraum, der genutzt werden sollte, da es die einzige Situation während eines Wettkampfes ist, in der nochmals eine systematische Einflussnahme möglich ist.
Im oben genannten Beispiel hat die Ansprache scheinbar einen Schalter umgelegt, etwas ist in den Spielern passiert und das scheint der Trainer vollbracht zu haben. Die Forschung und Umsetzung, was machbar ist, ist daher für mich nach wie vor unglaublich spannend.
Wie können die Fragebögen in der Praxis eingesetzt werden?
In der Regel setze ich die Fragebögen im Rahmen einer sportpsychologischen Betreuung dann ein, wenn bereits eine stabile Arbeitsbeziehung besteht. Dann finden Trainer es auch gut, weil sie als Ergebnis ‚harte’ Fakten (Zahlen) bekommen und erfahren, wie sie von den Spielern und von Expertenseite wahrgenommen werden.
Die Bögen haben in der Mannschaftsversion 44 Aussagen, in der Individualsportversion 40 Aussagen und lassen sich innerhalb von 10 Minuten bearbeiten. Trainer geben hierbei den Grad ihrer Zustimmung zu Aussagen wie „Habe ich mich kurz und präzise ausgedrückt“ oder „Habe ich meinen Spielern genug Zeit zur Erholung gegeben“ auf einer sechsstufigen Skala an. Genau die gleichen Aussagen in angepasster Formulierung bekommen auch die Sportler und geben ihre Einschätzung zu Aussagen wie „Hat der Trainer mit uns Ziele formuliert“ oder „Hat uns der Trainer daran erinnert, dass es an uns liegt, wie das Spiel ausgeht.“
So lässt sich sehr gut vergleichen, wie ähnlich oder unterschiedlich die Wahrnehmungen sind. Das heißt, ich kann Trainern durch die Fragebögen zu Verhaltensmerkmalen wie Zielsetzung, Prozesssteuerung, Kommunikation oder Trainer-Mannschaftsbeziehung Rückmeldung geben, wie sie sich jeweils eingeschätzt haben und wie sie von den Sportlern eingeschätzt worden sind. Die Einschätzung des Sportpsychologen dient als objektivierendes Korrektiv, um die tatsächliche Handlungskompetenz des Trainers zu beurteilen.
Die drei Perspektiven einander gegenübergestellt, liefern dann ein umfassendes Bild zum Trainerverhalten. In dem hierfür erstellten Manual, welches auch in der BISp-Reihe erschienen ist, wird der Fragebogeneinsatz erklärt. Angefangen vom Aufbau des Fragebogens, über die Anwendung, inklusive Beispielen aus dem Leistungssport bis hin zu Informationen, wie man die Ergebnisse interpretieren und in der Zusammenarbeit mit dem Trainer nutzen kann.
Welche Nutzen ergeben sich daraus für die praktische Arbeit von Sportpsychologen?
Neben Informationen zu Stärken und Schwächen im Trainerverhalten liegt der Nutzen gerade auch darin, Wahrnehmungsdiskrepanzen zu erfassen. Aus dieser Diagnostik leiten sich dann mögliche Interventionen für die sportpsychologische Beratung ab.
Spannend ist auch, wenn man einen Trainer über mehrere Wettkämpfe hinweg begleitet, weil man dadurch so etwas wie „die Handschrift“ im Trainerverhalten erkennen kann, die unabhängig vom konkreten Wettkampfstand ist, wie zum Beispiel die Gabe, das Team zu motivieren.
Dadurch, dass am Ende Fakten vorliegen, kommt es auch immer wieder zu Aha-Effekten, beispielsweise, wenn ein Trainer, der von sich dachte, dass er kurze Ansagen macht in der Auswertung erfährt, dass er 9 Minuten ohne Unterbrechung gesprochen hat.
Bei all dem geht es für mich nicht darum, am Ende zu sagen, ob eine Trainerin oder ein Trainer ‚gut’ oder ‚schlecht’ ist, sondern ich betrachte das konkrete Verhalten mit der Zielsetzung, Hilfestellung zu geben und dabei zu unterstützen, Verhalten bei Bedarf zu modifizieren, etwa, wenn durch fehlende Körpersprache die Botschaften nicht beim Team ankommen. Es geht um die Steigerung der Handlungskompetenz von Trainern, denn diese ist erlernbar.
Sind die Fragebögen für Sportpsychologen frei zugänglich?
Die Bögen sind 2010 über das BISp veröffentlicht worden und können frei genutzt werden. Grundsätzlich sollten sie jedoch nur von Sportpsychologen genutzt werden, die im Umgang mit Fragebögen geschult sind. Um ihn anzuwenden, empfehle ich, das Manual zu lesen. Wer tiefergehende Informationen wünscht, kann hierzu auch meine Doktorarbeit lesen. (Bestellmöglichkeiten siehe Link am Ende des Textes).
Alternativ besteht auch die Möglichkeit, an einer Fortbildung teilzunehmen, die ich bereits bei Verbänden, Institutionen und der Trainerakademie Köln durchgeführt habe und bei Bedarf gerne anbiete. Die Erfahrung zeigt, dass viele es vorziehen, sich vor Ort individuell schulen zu lassen, statt das Manual durchzuarbeiten. Auch deshalb, weil sie dadurch den zusätzlichen Vorteil haben, dass ich umfangreiche praktische Erfahrung aus vielen verschiedenen Sportarten mitbringe, dadurch gezielt auf die jeweilige Situation eingehen und mehr vermitteln kann, als nur, wie man den Fragebogen anwendet.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
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Kontaktdaten:
Dr. Thorsten Weidig
Zimmerstr. 25
22085 Hamburg
E-Mail: w.thorsten@web.de
Links zu Dissertation und zum Manual des Pausenverhaltensfragebogen (PVF):