Sie sind einer der Hauptredner der diesjährigen asp Jahrestagung. Was dürfen die Teilnehmer von Ihrem Vortrag erwarten?
Spannende Einsichten in ein aktuelles Forschungsfeld, das man sicher nicht gleich mit Sportpsychologie in Verbindung bringt, das aber interessante Bezüge bietet. Es geht um die Überformung des menschlichen Erinnerungsvermögens durch digitale Gedächtnissysteme. Der uralte Traum, endlich nichts mehr zu vergessen, rückt mit diesen Systemen nahe. Aber auch die Angst, nichts mehr vergessen zu können – was ja auch hin und wieder sinnvoll ist.
Was kann man sich unter Lifelogging als Methode digitaler Lebensführungsdiagnostik vorstellen?
Zunächst eine unauffällige, vollkommen automatische und permanente Datensammlung im Alltag. Dabei werden die Sinne des Menschen ausgeweitet, indem zum Beispiel Raumkoordinaten gespeichert werden, die später Rückschlüsse auf An- und Abwesenheiten zulassen. Kernelement von Lifelogging ist jedoch immer noch die Erfassung von Bilddaten. Ein Logger, das ist jemand, der Lifelogging nutzt, macht pro Tag unbemerkt cirka 30.000 Fotos. Diese können entweder aus der „Ich-Perspektive“ erstellt werden – später kann man dann die eigene Perspektive nachvollziehen. Oder aus einer Beobachtersperspektive – dann ist es möglich, sich später selbst als Teilnehmer einer Situation zu erleben. Für diagnostische Zwecke kann Lifelogging dann eingesetzt werden, wenn Beobachter in diesem Datenstrom gezielt nach Ereignissen oder Handlungsmustern suchen, zum Beispiel entlang der Frage, wie regelmäßig eine Person isst, wie gesund sich jemand ernährt oder wie intensiv soziale Kontakte in der Freizeit gepflegt werden.
Was bewirkt Lifelogging? Welche Vorteile und Effekte erhoffen Sie sich von dieser Methode?
Lifelogging bewirkt zunächst eine objektive Dokumentation des eigenen Lebens. Welche Bereiche des Lebens wie umfangreich davon betroffen werden, kann jeder Logger selbst entscheiden. Man kann zum Beispiel nur besondere Ereignisse wie einen Ausflug loggen – dies entspricht dann eher der Logik der Knisperfotografie. Oder man versucht, gesamte Tages- und Wochenverläufe zu dokumentieren. Der Effekt – den ich auch selbst ausprobiert habe – ist enorm: Ein Logger wird sich plötzlich sehr viel intensiver seiner eigenen Lebensführung bewusst. Es macht zudem Spaß, sich einen erlebten Tag wie im „Daumenkino“ noch einmal in zwei Minuten anzusehen.
Um weitere Leistungszugewinne im Spitzensport zu erreichen, gehen Sie in den außersportlichen Bereich? Ist das nicht auch kritisch zu betrachten, den Privatbereich zu besetzen – da der Leistungssport ja sowieso schon höchste Anforderungen an den Sportler stellt. Was gilt es hier zu beachten?
Gerade deshalb bin ich auf das Thema Leistungssport gestoßen: Ich gehe davon aus, dass in diesem Feld andere Regeln als im normale Alltag gelten. Wer Spitzenleistungen erbringen möchte, sollte auch bereit zu einem umfassenden Monitoring sein, das – zumindest über bestimmte Zeiträume – den privaten Alltag mit einschließt. Intime Bereiche werden auf jeden Fall geschützt und einen Aus-Schalter gibt es auch.
Es geht in Zukunft ja gerade darum, technische Lösungen für den Schutz der Privatsphäre zu finden. Andererseits sprechen schon jetzt ernstzunehmende Denker von der Ära der „Post-Privacy“ – dem Ende der bislang bekannten Privatheit. In jedem Fall müssen bei zukünftigen Anwendungen technische Lösungen Hand in Hand mit normativen und ethischen Fragen geklärt werden.
Konnte Lifelogging bereits getestet werden?
Ja, natürlich. Einer der Ur-Väter von Lifelogging testet sein System seit rund zehn Jahren. Wir haben einige kleinere Tests in Pilotprojekten durchgeführt und ich selbst habe ein Lifelogging-System einen Sommer lang getestet. Erst kürzlich ist unsere neue Lifelogging-Software fertig geworden. Ich freue mich schon darauf, diese selbst im Alltag zu testen. Damit sind wir dann unabhängig von Drittanbietern.
Die Tagung wird auf Schiffsreise – einem außergewöhnlichen Ambiente – stattfinden. Was erhoffen Sie sich von der Veranstaltung?
Das Glück der Unerreichbarkeit kombiniert mit dem Eintauchen in eine Fachwelt, die ich bisher nicht kenne, auf die ich jedoch neugierig bin. Ich bin ein bekennender „Querdenker“ und „Interdisziplinärer“ und freue mich auf gute Gespräche, vielleicht untermalt vom Klimpern des Eiswürfels an der Schiffsbar ...