In Halle (Saale) fand vom 9. – 11.5.2013 unter dem Titel „Angewandte Sportpsychologie“ die 45. Jahrestagung der asp statt. Wissenschaftler aus Grundlagenforschung und angewandter Sportpsychologie hatten 2 Tage Gelegenheit, sich auszutauschen und den Brückenschlag zu üben. Ausgerichtet wurde die Tagung von Prof. Dr. Oliver Stoll. Im Interview berichtet er über die Ausgangsidee zur Tagung und liefert einen Rückblick auf die Ereignisse und Höhepunkte.
Wie kam es zur Idee, die Tagung unter den Titel „Angewandte Sportpsychologie“ zu stellen?
Die Angewandte Sportpsychologie hat in den letzten Jahren einen starken Zuwachs erfahren und auch in der Öffentlichkeit deutlich mehr Aufmerksamkeit erzielt. Dazu haben sicherlich auch die Aktivitäten seitens des Berufsverbands und die Weiterentwicklung des asp Curriculum beigetragen.
Das zeigt sich auch durch den Master-Studiengang ‚Angewandte Sportpsychologie‘, den ich hier in Halle 2008 ins Leben gerufen habe. Inzwischen ist er von 4 Jahrgängen durchlaufen worden und die Absolventen werden auf dem Arbeitsmarkt angenommen, sowohl im Bereich der sportpsychologischen Beratung, als auch in Feldern wie Personal- oder Organisationsentwicklung.
Ich finde es hochspannend, zu sehen, welche Ergebnisse aus der Grundlagenforschung in der Anwendung nutzbar gemacht werden können. Wie etwa die Hypofrontalitätstheorie, eine neurokognitive Flow-Theorie, die Flow-Erleben erklärt. Nachdem die Forschung den Wirkmechanismus aufgeklärt hat, können die Erkenntnisse nun mit sportpsychologischen Interventionen verknüpft werden, die Hypofrontalität erzeugen können. Eines von vielen Beispielen, wie Forschung und Anwendung zusammen kommen kann. Daher finde ich den Austausch so bedeutsam.
Ist das Konzept aufgegangen?
Auf jeden Fall. Statt den erwarteten 200 Teilnehmenden konnten am Ende 300 Tagungsbesucherinnen und Besucher gezählt werden, so dass wir sogar noch Abstractbände nachreichen müssen.
Auch aufgegangen ist das Konzept, verstärkt Praxisworkshops in das Programm aufzunehmen. Also die Praxis der angewandten Sportpsychologie in das Gesamtprogramm einzubinden, da die Jahrestagungen bislang traditionell eher wissenschaftlich orientiert war. Neben vier Keynotes und 21 Arbeitskreisen hatten wir gleich 5 Praxisworkshops im Programm, die sehr gut angenommen worden sind. Die Inhalte wurden auch explizit als Fortbildungsangebote ausgewählt, da nach der Umstellung der BISp-Expertendatenbank Nachweise über praktische Arbeit und Fortbildungen in diesem Bereich gefordert werden und wir für die angebotenen Praxisworkshops Fortbildungspunkte vergeben konnten.
Zu welchen Themen fanden Praxisworkshops statt?
Thomas Teubel leitete den Workshop „Sportpsychologie im Team“, Christian Heiss bot unter dem Titel "Solution Talk“ einen Praxisworkshop zur lösungsorientierten Gesprächsführung im sportpsychologischen Coaching an und T. Meyer hielt den Workshop „Training zur Psychophysischen Regulation im Sport“ ab. Zusätzlich hatten wir, von Peter Schneider und Grzegorz Wieclaw angeboten, mit „Using video-assisted imagery to enhance proprioception with handball goaltenders“ auch ein englischsprachiges Angebot aufgenommen. Und zusammen mit Andreas Marlovits von der privaten Universität Potsdam haben ich den Workshop „Ausbildungswege in das Berufsfeld Sportpsychologie – Aktuelle Entwicklungen und Trends“ veranstaltet, da wir derzeit als einzige den Masterstudiengang Angewandte Sportpsychologie an unseren Instituten anbieten und es – auch in Bezug auf die asp-Curricula unser Anliegen war, den Dialog anzuregen.
Inwieweit ist denn der erhoffte Brückenschlag zwischen Forschung und Anwendung in den anderen Bereichen der Tagung gelungen?
Als Fazit kann ich sagen, dass er zu einem großen Teil gelungen ist. Dies lässt sich schon anhand der eingereichten Abstracts ablesen. Während ansonsten das Verhältnis von Forschung zu Anwendung bei 85 zu 15 Prozent liegt, waren bei den in diesem Jahr eingereichten 178 Themen über 40 Prozent praxisorientiert, so dass anwendungsorientierte Themen nicht nur in den Praxisworkshops sondern auch in mehreren der 21 Arbeitskreise zu finden waren. Besonders denke ich aber, dass es an den Themen und Inhalten der Keynotes abzulesen ist.
Können Sie zu den Inhalten und „Brückenschlägen“ der einzelnen Keynotes etwas berichten?
Dr. Hanspeter Gubelmann von der ETH Zürich hat in seinem praxisorientierten Vortrag „Alltag Spitzensport: Sportpsychologische Intervention jenseits von Rezepten, Ratschlägen und Rasterdenken“ ausgewählte Forschungsergebnisse zur Legitimierung seines Vorgehens genutzt und mit Beispielen aus seiner Arbeit mit dem Skispringer Simon Ammann aus Sicht eines angewandt arbeitenden Sportpsychologen im Leistungssport berichtet. Durch die hier stattgefundene Forschung und die daraus resultierenden Rückschlüsse auf die Arbeit mit dem Athleten wurde hier bereits innerhalb der Keynote der Brückenschlag vollzogen.
Dr. Sophia Jowett von der englischen Loughborough University hat als eine der führenden Forscherinnen aus Großbritannien, die sich mit Trainer-Athleten Interaktion und Kommunikation beschäftigt den Schwerpunkt auf die Forschung gelegt. In Ihrer Keynote „Relational coaching in sport: Its psychological underpinnings and practical effectiveness.” hat sie über ihre Forschungsergebnisse referiert und anhand ihrer Forschung deutlich gemacht, wo wir noch weiteres Wissen generieren müssten, um in der Trainer-Athleten Interaktionsproblematik weiterzukommen. Hierbei hat sie den angewandten Bereich, also was man alles richtig bzw. falsch machen kann implizit mit angesprochen.
Auch der Experte im Bereich der Perfektionismus-Forschung Dr. Joachim Stöber von der britischen University of Kent beschrieb im Vortrag „The Dual Nature of Perfectionism in Sport” Forschungsberichte. Er war der erste, der gezeigt hat, dass Perfektionismus im Sport auch eine positive Seite hat, die besonders im Leistungssport durchschlägt. Zur leistungsfördernden Seite, aber auch zu den Risiken hat er zahlreiche Studien gemacht und uns hierzu auf den neusten Stand gebracht. Denn neben der hohen Leistungsmotivation und Fähigkeit der Sportlerinnen und Sportler, sich anspruchsvolle Ziele zu setzen besteht die Schattenseite darin, dass sie sehr stark mit negativen Emotionen reagieren, wenn sie ihre sehr hohen, selbst gesteckten Ziele nicht erreichen können. Aufgrund der Forschungsergebnisse hat er Ansatzpunkte für die Praxis gezeigt, wie beispielsweise durch das Stressimpfungstraining, bei dem es darum geht, den vielen hochperfektionistischen Athleten im Kaderbereich zu vermitteln, mit negativen Emotionen umzugehen.
Der vierte Vortrag der Freiburger Kollegin und Psychotherapeutin Prof. Dr. Almut Zeeck bot unter dem Titel „Körperliche und sportliche Aktivität als Pathologie: Essstörungen und Sportsucht“ Einblicke in die häufige Kopplung von Essstörungen und Sportsucht, insbesondere bei anorexischem Verhalten, bei dem exzessives Sporttreiben zum Kalorienverbrennen Teil des Krankheitsbildes ist. Hier hat sie sowohl Forschungsergebnisse referiert, als auch Hinweise gegeben, was in der Behandlung solcher Patientinnen und Patienten von besonderer Bedeutung ist. Von daher war auch hier der Brückenschlag klar zu erkennen.
Die Auswahl der Hauptvortragenden zeigt eine deutliche internationale Ausrichtung. War dies Teil Ihres Konzepts?
Eindeutig ja. Gerade in Bezug auf die Hauptvorträge war es mir wichtig, die Möglichkeit zu nutzen, von der internationalen Expertise zu profitieren, um „nicht nur im eigenen Saft zu schmoren“ und den fachlichen Austausch über den berühmten Tellerrand hinaus zu ermöglichen.
Ebenso gab es Workshops und Arbeitskreise in englischer Sprache, um auch unseren internationalen Gästen ein interessantes Programm bieten zu können. Wir hatten auch internationale Abstract-Einreichungen – angefangen von deutschsprachigen Kollegen aus Österreich und der Schweiz, über Teilnehmer aus Ägypten, Polen, bis hin nach Hawaii und sogar aus Nigeria kam ein Abstract. Zusätzlich hatten wir internationale Gäste vom European Masters Degree of Sport and Exercise Psychology, die mit etwa 15 europäischen Studierenden gerade in Leipzig gastiert hatten.
Neben dem wissenschaftlichen Programm fand während der Tagung auch die Hauptversammlung der asp statt, es gab zwei Preisverleihungen für wissenschaftliche Arbeiten und bereits einen Ausblick auf die nächste Tagung 2014 …
Zentrales Thema der Hauptversammlung war in diesem Jahr die Wahl des neuen asp-Vorstands, in den ich auch als Beisitzer gewählt bin (siehe Artikel zur Vorstandswahl) Gleichzeitig wurde bereits die nächste Jahrestagung für 2014 angekündigt. Vom 28. bis 30. Mai 2014 laden Prof. Dr. Jürgen Beckmann und Dr. Felix Ehrlenspiel unter dem Motto „Performing under Pressure“ nach München ein.
Die Verleihung des „Karl-Feige-Preis“, der alle zwei Jahre für eine herausragende Dissertation im sportpsychologischen Kontext vergeben wird, war ein weiterer Höhepunkt. Er ging an Dr. Katrin Lehnert von der Universität Hamburg, die eine Arbeit über Wohlbefindenseffekte durch Sport und die Bedeutung von sportbezogenen Motiven und Zielen beim Sporttreiben eingereicht hatte. Der jährliche asp-Studienpreis ging in diesem Jahr an Fabienne Ennigkeit von der Universität Frankfurt für ihre Arbeit „Der Einfluss des Exercise Schema auf die Verarbeitung selbstbezogener Informationen“.
Und natürlich haben wir auch gefeiert, angefangen bei der Zusammenkunft am ersten Abend und beim Gemeinschaftsabend nach der Mitgliederversammlung, an dem wir eine Saale-Rundfahrt unternommen haben.
Vielen Dank für das Gespräch und im Namen aller Teilnehmenden Ihnen und Ihrem Team ein herzliches ‚Danke schön‘ für diese spannende Tagung in Halle an der Saale!
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Kontakt:
Prof. Dr. Oliver Stoll
Universität Halle-Wittenberg
Institut für Kommunikation, Medien und Sport
Dept. Sportwissenschaft
Von-Seckendorff Platz 2
06120 Halle (Saale)
Tel.: +49 345 5524440
e-mail: oliver.stoll@sport.uni-halle.de
Web: http://www.sport.uni-halle.de
Das Programm der Tagung kann hier noch eingesehen werden