Dr. Michael Krug ist als Sportpsychologe sowie in der LWL-Klink Dortmund in der Psychiatrie tätig, wo er auch eine psychiatrisch-psychologische Sprechstunde für Leistungssportler und Trainer anbietet. Auf dem BISp-Symposium 2013 „Erfolgsfaktor Trainer …“ hielt er den Vortrag „Persönlichkeit und Leistungskompetenzen des Coaches“.
Im Interview berichtet er über die Entstehung der von ihm entwickelten Diagnostiktools zur Erfassung und Beurteilung persönlichkeitsbezogener Aspekte von Trainerinnen und Trainern und macht deutlich, wie wertvoll es für Sportpsychologen ist, diese Aspekte zu berücksichtigen.
Was war Ihre Motivation, sich mit dem Thema „Persönlichkeit von Trainern“ zu beschäftigen?
Die Auseinandersetzung mit dem Thema Persönlichkeit gehört für mich innerhalb der Psychologie zu den spannendsten Themen überhaupt.
Daher ist mir, speziell im Feld des Leistungssports aufgefallen, dass in den letzten Jahren der Fokus innerhalb der Sportpsychologie verstärkt auf das Thema der Trainerkompetenzen gelegt wurde, also darauf, was Trainerinnen und Trainer tun müssen oder können sollten, welche Erfahrungen, welches Wissen und welche Fähigkeiten und Fertigkeiten wichtig sind. Die Realisierungsbedingungen für diese Kompetenzen wurden dagegen vergleichsweise selten thematisiert, doch genau an diesem Punkt, wo es darum geht, wessen es bedarf, um Kompetenzen umsetzen zu können, kommt die Persönlichkeit ins Spiel. Daher sind Kompetenz und Persönlichkeit für mich untrennbar miteinander verbunden.
Häufig kann man zum Beispiel lesen, dass es ein Kompetenz-Merkmal für Trainerinnen und Trainer sei, tragfähige Beziehungen zu ihren Athleten herstellen zu können. Doch wie kann man tragfähige Beziehungen herstellen? Hier würde ich sagen, dass sich die Persönlichkeit eines Trainers durch ein gewisses Ausmaß an Empathie auszeichnen muss. Und Empathie ist etwas, dass nicht auf die Schnelle gelernt oder verändert werden kann. Empathie als Persönlichkeitsmerkmal resultiert nämlich aus Beziehungserfahrungen mit entsprechenden Spiegelungsprozessen hinreichend responsiver Bezugspersonen.
Zusammengefasst heißt das, im Sport war die Kompetenzdebatte in den vergangenen Jahren sehr groß, aber das Fundament von Kompetenz, was meiner Meinung nach Persönlichkeit ist, hat man sich kaum angeschaut. Vielleicht liegt es daran, dass man beim Kompetenzerwerb davon ausgeht, dass hier schnelle Veränderungen möglich sind, da man Kompetenzen auch relativ kurzfristig erwerben kann und das ist beim Thema Persönlichkeit anders. Natürlich verändert sich auch die Persönlichkeit ständig, hat aber etwas relativ zeitstabiles, was den Unterschied ausmacht.
Die Bedeutung des Themas Persönlichkeit für die Berufsausübung kann man auch in Stellenanzeigen ablesen, in denen Trainerinnen und Trainer gesucht werden. Meistens werden hier 3 Dinge gefordert: Erstens eigene Erfahrungen in der Sportart, zweitens Kompetenzen, die dann näher beschrieben sind, und als drittes werden Persönlichkeitsmerkmale wie Sensibilität, Durchsetzungsstärke oder Flexibilität genannt.
Bei meinen Recherchen wurde deutlich, dass – obwohl die Bedeutung offensichtlich ist – eine intensive Beschäftigung mit der Persönlichkeit von Trainern eher sporadisch erfolgt war, was für mich der Ausgangspunkt für meine Forschung und die beiden BISp-Projekte war.
Können Sie etwas über die Projekte und zur Entwicklungsgeschichte der Diagnostiktools sowie der Onlineplattform zur sportpsychologischen Diagnostik (www.sportpsychologie-diagnostik.de) erzählen?
Der Startschuss fiel durch die beiden vom BISp geförderten Projekte. Sie wurden an der Ruhr-Universität Bochum unter der Leitung von Prof. Dr. Michael Kellmann und Dr. Heiner Langenkamp durchgeführt. Das erste Projekt war ein universitäres Forschungsprojekt, das von 2005-2007 stattfand und in dem zunächst die Bedeutsamkeit der Persönlichkeit von Trainerinnen und Trainern für ihr Berufsfeld herausgearbeitet und im Anschluss ein Fragebogen zur Quantifizierung persönlichkeitsbezogener Aspekte entwickelt wurde. Diesen galt es dann in einem zweiten Projekt, das als Betreuungsprojekt von 2007 – 2009 angelegt war, anzuwenden. Kooperationspartner in dem Betreuungsprojekt war die Trainerakademie Köln des DOSB e.V. (TA Köln) mit den dortigen Studierenden.
Nachdem innerhalb des ersten Projekts die Bedeutsamkeit der Persönlichkeit herausgearbeitet war, galt es diese erfassbar zu machen. Und obwohl es keinen Ersatz für das menschliche Gespräch gibt, haben wir uns für eine Annäherung an die Persönlichkeit durch den Einsatz von Fragebögen entschieden. Bei der Entwicklung war uns wichtig, dass in den Fragen und Aussagen des Fragebogens der Bezug zum Leistungssport und zur Berufswelt der Trainer konsequent eingehalten wird. So fragen wir u.a. danach, wie viel es ihnen ausmacht, auch an Wochenenden zu arbeiten, während andere Freizeit haben. Zusätzlich war uns wichtig, dass der persönlichkeitsorientierte Test nicht reißerisch sein sollte, im Sinne dass er als Ergebnis Auskunft gibt „wie sie wirklich sind“. Das war nicht unsere Absicht und solche plakativen Aussagen halten wir auch nicht für seriös.
Bei der Konstruktion der Fragebögen sind vorhandene Forschungsergebnisse ebenso eingeflossen, wie Befragungen von Trainern, Athleten und Funktionären. Zusätzlich wurden systematisch Stellenanzeigen ausgewertet, um die dort genannten persönlichkeitsbezogenen Aspekte zu sammeln. Ergänzend haben wir in vielen Fällen die Herausgeber der Stellenanzeigen angeschrieben, um zu erfragen, was sie genau unter den in der Anzeige genutzten Begriffen wie z.B. Flexibilität verstehen.
Der erste Schritt war dann, dass wir einen Fragebogen zur Selbstbeschreibung von Trainerinnen bzw. Trainern entwickelt haben, in dem sie sich selbst einschätzen können. In einem zweiten Schritt haben wir diesen Fragebogen dann umformuliert, so dass damit Fremdbeschreibungen durch Athleten oder Funktionäre möglich sind und die Möglichkeit besteht, den Trainer nochmals aus ihrer Perspektive zu beschreiben, so dass multiperspektivische Feedbacks möglich sind. Als dritten Schritt haben wir dann die Möglichkeit geschaffen, die Fragebogen online auszufüllen, so dass von überall Zugriff besteht und man sich nicht zeitlich oder örtlich koordinieren muss.
Wie sieht der Einsatz konkret aus?
Der Einsatz erfolgt im Rahmen der Trainerausbildung an der TA Köln und im Rahmen von sportpsychologischen Betreuungen. Wichtig ist, dass die Anonymität grundsätzlich gewahrt bleibt und z.B. keine Einzelergebnisse aus Athletenfeedbacks weitergeleitet werden, um Rückschlüsse auf die einzelne Person auszuschließen. Nur in Arbeitssituationen, in denen eine enge Zusammenarbeit mit einem Sportpsychologen besteht, kann die Anonymität im gegenseitigen Einvernehmen aufgehoben werden.
Beim Einsatz innerhalb der Trainerausbildung beginnen wir mit einer Sensibilisierung für die eigene Persönlichkeit, in dem zunächst eine Reflexion von wichtigen Aspekten der eigenen Tätigkeit initiiert wird, so dass jeder Trainer für sich darüber nachdenken kann, wie er Misserfolge erlebt oder verarbeitet, wie es in Bezug auf Nähe oder Distanz zu den Athleten aussieht oder was für Ermutigungen oder Entmutigungen er in der Phase des Übergangs vom Athleten zum Trainer erlebt hat. Diese und viele weitere Aspekte des Erlebens und Verhaltens werden dann im nächsten Schritt mit den persönlichkeitsorientierten Verfahren erhoben und auf Papier erfasst. Regelhaft wird das Selbstbild der Trainerinnen und Trainern erhoben, also wie diese sich selbst sehen. Bei Interesse werden auch Fremdbilder von den jeweils betreuten Athleten oder von zum Beispiel Co-Trainern erhoben.
Nachdem alle Daten erfasst sind, erfolgt die Rückmeldung der Ergebnisse in Form einer schriftlichen Ergebnisrückmeldung, die bei Interesse durch ein 4-Augen-Gespräch ergänzt werden kann. Hier besteht dann die Möglichkeit, nochmals auf einzelne Fragen einzugehen oder Aspekte zu vertiefen. Dies könnte dann auch als Basis für ein Trainercoaching genutzt werden.
Welche Erfahrungen haben Sie inzwischen nach dem Einsatz der Tools gewinnen können?
Mein bisheriger Eindruck ist, dass sowohl Trainer als auch Athleten vom Einsatz profitieren können. Das belegen auch die zahlreichen positiven Rückmeldungen, die mich erreichen. Etwa das es bereits beim Ausfüllen der Fragebögen Aha-Momente gibt, da man es als spannend erlebt, so viel über sich und die eigene berufliche Situation nachzudenken. Oder dass ein Trainer mir schrieb, er habe aus den Auswertungen für sich und das Team viel herausziehen und an Schwachpunkten arbeiten können. Auch geben Teilnehmer an, es sei in der Praxis schwierig, als Trainer ein Feedback zu bekommen und dass man gar nicht genug Hinweise und Feedbacks im Zusammenhang mit der eigenen Persönlichkeit bekommen könne. Viele Trainerinnen und Trainer besprechen die Rückmeldungen auch mit ihren Athleten, was in der Regel eine vertrauensvolle Atmosphäre in der Gruppe fördert. Dem gegenüber habe ich nur sehr wenige kritische Rückmeldungen erhalten, etwa dass man damit „die Büchse der Pandora“ öffnen würde oder dass man so etwas nur nötig habe, wenn man schwach sei.
Als Resümee kann ich sagen, dass es für den Einsatz der Fragebögen wichtig ist, dass Freiwilligkeit an der Teilnahme besteht und niemand dazu verpflichtet wird. Außerdem ist die zeitnahe Rückmeldung nach Beantwortung der Fragebögen wichtig. Zusätzlich bietet die Einbeziehung von verschiedenen Perspektiven in Form von Selbst- und Fremdbildern mehr Möglichkeiten in Bezug auf einen Erkenntnisgewinn. Es hat sich auch gezeigt, dass diejenigen Trainerinnen oder Trainer, bei denen Selbst- und Fremdbild relativ übereinstimmen, offener für Veränderungen sind und sich Meinungen anderer anhören.
Stichwort Zukunftsausblick: Welchen Einfluss könnten die Fragebögen und Online-Plattform für die zukünftige Trainerausbildung haben?
Ich hoffe, dass eine persönlichkeitsbezogene Diagnostik überall dort Anklang findet, wo die Erarbeitung einer individuellen Trainerphilosophie entwickelt und gefördert wird.
Persönlichkeitsbezogene Diagnostik halte ich für fehl am Platze, wenn mit Persönlichkeitsentwicklung eine einseitige Leistungsoptimierung angestrebt wird. Denn das ist für mich Anpassung, aber keine Entwicklung im Sinne eines reflexiven Verstehens und Erkennens.
Vielen Dank für das Gespräch!
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Kontakt:
Dr. Michael Krug
Hörder Neumarkt 7
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E-Mail: Michael.Krug@sportpsychologie-diagnostik.de
Telefon: 0231-39980173
Mobil: 0173-2657492
Fax: 0231-39968968
Onlineplattform zur sportpsychologischen Diagnostik: www.sportpsychologie-diagnostik.de
Psychiatrisch-psychologische Sprechstunde für Sportler und Trainer: http://www.lwl.org/LWL/Gesundheit/psychiatrieverbund/K/lwl_klinik_dortmund/leistung/fachambulanzen/leistungssportler