Als sportpsychologischer Betreuer der deutschen Kanu-Slalom Mannschaft war Dr. Kai Engbert mit vor Ort bei den olympischen Spielen in London. Im Interview zieht er ein Halbzeit-Fazit der olympischen Spiele aus Sicht der Sportpsychologie und berichtet über seine Erfahrungen vor Ort.
Sie sind gerade aus London zurückgekehrt. Wie waren Ihre Erfahrungen als Sportpsychologe vor Ort?
Sehr positiv fand ich, dass es unter den acht beteiligten Sportpsychologen der Deutschen Olympiamannschaft bereits im Vorfeld Treffen und Möglichkeiten zum Austausch gab. So war man von Anfang an nicht als Einzelkämpfer vor Ort sondern es bestand Kontakt zu anderen Sportpsychologen. Auch im Olympischen Dorf gab es einige Treffen, auch mit den internationalen Kollegen.
Auch sehr positiv war für mich, dass im Rahmen des Vortreffens das Angebot der sportpsychologischen Betreuung transparenter gemacht wurde. Acht Teilmannschaften hatten ihre betreuenden Psychologen vor Ort, was im Umkehrschluss bedeutete, dass viele Sportler ohne Sportpsychologen waren und um mögliche Krisensituationen aufzufangen, haben die deutschen Psychologen zentral in London ein Krisentelefon eingerichtet, dass immer einer der Kollegen betreut, der gerade nicht im Wettkampf ist. Hier kann jeder Sportler oder Trainer der deutschen Olympia-Mannschaft, egal welcher Sportart anrufen, um sich Unterstützung zu holen. Ziel ist es, die Präsenz der Sportpsychologie zu zeigen und auch für die Sportler, die keinen Sportpsychologen vor Ort haben in Krisenfällen erreichbar zu sein.
Als dritten Punkt werte ich es als großen Erfolg für die Sportpsychologie, das mit Prof. Dr. Hans-Dieter Hermann das erste Mal im öffentlich rechtlichen Fernsehen dauerhaft ein Experte vor Ort ist, der die Ereignisse aus sportpsychologischer Sicht kommentiert. Als sportpsychologischer Betreuer der Fußball-Nationalmannschaft gehört er zu den Sportpsychologen, die in der Öffentlichkeit am meisten wahrgenommen werden. Daher sehe ich diese Entwicklung, dass ein so hochkarätiger Experte über den gesamten Zeitraum präsent ist als Zeichen für die wachsende Bedeutung und das wachsende Interesse an der Sportpsychologie.
Was ist Ihr persönliches Halbzeit-Fazit der olympischen Spiele aus sportpsychologischer Sicht?
Bei mir persönlich als sportpsychologischer Betreuer der Kanu-Slalom Mannschaft ist es ja bereits ein finales Fazit, da diese Wettkämpfe abgeschlossen sind. Hier ziehe ich ein sehr positives Fazit. Wir haben zwei Medaillen errungen, was auch die Zielstellung war. Auch die Art, wie die Medaillen zustande kamen und wie die Mannschaft zusammen gearbeitet hat, fand ich aus sportpsychologischer Sicht sehr positiv.
Der Erwartungsdruck ist hoch und bei Niederlagen überschlagen sich die Titelzeilen mit Vorwürfen und Häme wie beispielsweise bei den Schwimmern. Wie können Athleten mit einer solchen extremen Drucksituation umgehen und gibt es sportpsychologische Möglichkeiten, sie in diesen Fällen schnell wieder aufzubauen?
Das wichtigste für einen Athleten ist es, sich immer wieder auf seine Aufgabe zu konzentrieren. Gerade bei den Schwimmern, bei denen viele unter den an sie gestellten Erwartungen geblieben sind, ist es wichtig, dass man nicht immer das Gesamtbild sieht und auf die Schlagzeilen achtet, sondern sich auf das nächste Rennen fokussiert, auf seine Leistung und seine Bahnen und alles andere bestmöglich ausblendet. Als zweites ist wichtig, dass man weiterhin seine Ziele im Auge behält und nicht in eine Misserfolgsängstlichkeit verfällt, sondern weiterhin Erfolgszuversichtlich ist, Erfolg sucht, sich darauf fokussiert und nicht versucht, eine Niederlage zu vermeiden, was eine sehr ungünstige motivationale Lage wäre.
Dabei kann an das angeknüpft werden, was im Vorfeld von Wettkämpfen als ganz persönliche Herangehensweise an ein Rennen mit einem Sportpsychologen erarbeitet wurde. Techniken und Abläufe, die trainiert und geübt werden, auch z.B. in vorangehenden Wettbewerben wie Weltcups. Diese positiven Erfahrungen gilt es dann, auf den olympischen Wettbewerb zu übertragen, wo es Besonderheiten gibt, wie beispielsweise die großen Zuschauerzahlen, die Sportarten wie Kanu oder Schwimmen beim Weltcup oder den Weltmeisterschaften normalerweise nicht haben.
Immer wieder wird von der Psychologie des Erfolgs oder Scheiterns gesprochen. Wird hier versucht, der Psychologie eine zu große Rolle bei Erfolg oder Misserfolg zu geben bzw. bei Versagen die Schuldfrage zu klären?
Ich sehe das sehr Multifaktoriell, denn Erfolg hat viele Gesichter und es ist wichtig zu sehen, dass die Psychologie ein Teil davon ist, aber natürlich nicht alles ausmacht. Wenn ich als Schwimmer beispielsweise psychisch in Topverfassung bin, aber mein Trainingszustand in dem Moment nicht die Leistung hergibt, zu der ich zu einem anderen Zeitpunkt in der Lage gewesen wäre, dann überwiegt in diesem Fall der Faktor Trainingssteuerung. In einem anderen Fall kann der Faktor Psyche überwiegen. Es sind immer ganz viele Faktoren, die dann am Ende zu einer Medaille beitragen und die Psyche ist ganz klar einer davon, aber eben nur einer.
Gefeierte Sieger wie der Deutschland-Achter, gescholtene Verlierer wie Schwimmerin Britta Steffen oder Krimis mit Happy End, wie bei Leichtathletin Lilli Schwarzkopf im Siebenkampf. Was machen diese Erfahrungen mit den Sportlerinnen und Sportlern? Können sie etwas zu möglichen Auswirkungen auf die zukünftige sportliche Karriere sagen und gibt es Wege, diese Erfahrungen positiv zu nutzen?
Diese Erfahrungen machen natürlich alle Sportler und die Auswirkungen auf den Einzelnen Sportler sind sehr individuell. Sieg oder Niederlage ist ja immer im Kontext des einzelnen Sportlers zu sehen. So kann eine schwere Niederlage dazu beitragen, dass ein Sportler überlegt, ob er überhaupt noch vier Jahre weitermachen will. Manchmal kommt ein eher erwartetes Ergebnis, so dass man sich auf dem Weg bestätigt fühlt. Da kann man wenig allgemeingültige Aussagen treffen.
Kann denn eine Niederlage auch als Chance genutzt werden, um sich auf zukünftige Wettkämpfe positiv einzustimmen?
Ja natürlich, denn eine Niederlage ist nicht notwendigerweise etwas Schlechtes. Normalerweise löst sie negative Emotionen aus wie Traurigkeit oder Wut und aus psychologischer Sicht ist es ganz wichtig, dass dieser Ärger und die Enttäuschung auch Raum haben und das man nicht meint, den positiven Nutzen gleich in den nächsten 10 Minuten erkennen zu müssen. Aber meist stellt sich bei den Athleten innerhalb weniger Wochen die Frage ein, wie geht es weiter und dann kann es Teil der sportpsychologischen Auswertung sein, was ich als Sportler daraus lernen kann und wie ich das für meine Karriere nutze. Aber wichtig ist, dass man sich erst mal ärgern darf.