Dorothee Alfermann feierte am 1. Mai 2019 ihren 70. Geburtstag. asp-Präsident Bernd Strauss würdigt sie mit den folgenden Zeilen:
2004 schrieb Dorothee Alfermann in einer Rezension zu einem 2003 erschienenen sportpsychologischen Lehrbuch in der Zeitschrift „Sportwissenschaft“ (Vol. 34, 81-84) folgendes:
„Das vorliegende Buch (ist) nicht für Fachkollegen geschrieben, sondern in der Hauptsache für Anfängerinnen und Anfänger ...“ (S. 3). Darf ich – als Fachkollegin, wie ich mir einbilde – es dann überhaupt lesen? Ich habe eine Rezension versprochen, also muss ich ja wohl. Und von Fachkolleginnen ist zumindest nicht die Rede. Ich lasse mich also von dem eingangs zitierten Hinweis nicht abschrecken und lese mutig das ganze Buch durch. Der Hinweis auf die Anfängerperspektive lässt mich allerdings etwas pingeliger lesen, als ich das sonst zu tun pflege. Und da werde ich beim Literaturverzeichnis sofort fündig. ...
Kein Vorbild also für Anfängerinnen und Anfänger. Und schließlich: Gerade weil die Autoren betonen, nur besonders wichtige Literatur zu zitieren und nicht überfrachten zu wollen (S. 3), hätte ich mir gelegentlich mehr Auswahl gewünscht... Die Auswahl der Literatur geht zwar im Allgemeinen in Ordnung, aber etwas mehr Präzision im Detail und gelegentlich noch mehr Mut zur Auswahl und damit im Weglassen hätte ich mir gewünscht. Gut gelungen finde ich die Idee, sowohl Klassiker und damit die – teils über einhundertjährige – Geschichte der sozialpsychologischen (und gelegentlich auch soziologischen) Forschung zu verdeutlichen..."
Immerhin, so haben die Autoren des rezensierten Buches sicherlich 2004 gedacht! Ich kann nicht die ganze Rezension hier wiederholen – auch wenn das Internet geduldig ist. Es sind insgesamt 3-4 Seiten. Sehr detailliert beschäftigt sich Dorothee Alfermann mit der Materie und findet zahlreiche Pros und Cons in klarer Sprache, wie üblich bei ihr. Sie kommt zu folgendem Fazit:
„... Das vorliegende Buch versucht, sozialpsychologische Fragestellungen auf der Basis von Alltagsbeobachtungen aus dem Bereich des Sports mundgerecht aufzubereiten. Dies ist in weiten Teilen gut gelungen, bei gleichzeitig fachlicher Seriosität, Ausnahmen wurden erwähnt. Dass ich persönlich eine andere Gliederung bevorzugt hätte, ist hinlänglich deutlich geworden. Auch lassen sich didaktische und inhaltliche Verbesserungen vorstellen, die ich zuvor präzisiert habe. Abgesehen vom letzten Kapitel stellt es insgesamt ein für die Zielgruppe empfehlenswertes Buch dar.“
Wie gesagt, immerhin...
Ich war damals erst seit Kurzem Professor und, wie ich mich erinnere, schon etwas „geknickt“ über diese öffentliche Rückmeldung von einer mir sehr geschätzten Kollegin. Denn es handelte sich um die Rezension von Dorothee Alfermann zu meinem ersten Lehrbuch mit Wolfgang Schlicht (Schlicht, W. & Strauß, B. (2003). Die Sozialpsychologie des Sports. Göttingen: Hogrefe).
Aber es ist genau dies, was ich und viele andere so sehr an Dorothee Alfermann schätzen: Neben aller hohen fachlichen Kompetenz, die sie auszeichnet, verwendet sie eine klare Sprache, unabhängig von der Person, mit der sie kommuniziert. Sie ist ansteckend in ihrer Energie und ist klar in ihren Überzeugungen. Und dabei, wie in meinem Fall, aber auch unterstützend, weil natürlich am Ende des Tages, als die Enttäuschung gewichen war, ich ihr in vielen Dingen – wenn auch nicht allen – zustimmen musste, und ich sehr von Ihrem Feedback für weitere Projekte profitiert habe.
Ohne Zweifel gehört Dorothee Alfermann, nach wie vor, auch drei Jahre nach ihrer Pensionierung im Jahre 2016 an der Universität Leipzig, zu den international bekanntesten und einflussreichsten Sportpsychologinnen und Sportpsychologen, und dies seit 40 Jahren.
Dorothee Alfermann hat 1979 ihre erste Professur im Alter von 30 Jahren, eine C3-Professur für Sportpsychologie, an der Universität Gießen angetreten. Zuvor hatte sie in Bonn 1971 ihr Diplom in Psychologie erhalten und drei Jahre später promoviert, in damaligen Zeiten eine sehr schnelle Zeit zu promovieren. Sie war dann von 1973-79 wissenschaftliche Mitarbeiterin in Aachen, bis sie 1979 den Ruf aus Gießen erhielt. 1994 hat sie den C4-Ruf auf den Lehrstuhl für Sportpsychologie von der Universität Leipzig angenommen und ist bis heute eine sehr erfolgreiche, hochgeachtete Wissenschaftlerin.
Sie gehört zu der kleinen Gruppe der einflussreichsten Sportpsychologinnen und Sportpsychologen während der letzten 30 Jahre, mit erheblichem Einfluss auf die Entwicklung der nationalen und internationalen Sportpsychologie, wie auch der Sportwissenschaft. Sie hat auch dafür gesorgt, dass die Sportpsychologie in der Psychologie Anerkennung findet. So gehörte sie zu denjenigen, die sich in den 80ern und 90ern (u.a. als Präsidentin der asp) wiederholt für die Einrichtung einer Fachgruppe für Sportpsychologie in der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs) eingesetzt haben. Dies wurde seinerzeit von Seiten der DGPs nicht positiv erwidert. Erst seit 2015 gibt es die Fachgruppe Sportpsychologie in der DGPs und Dorothee Alfermann hat ganz sicherlich durch ihr frühzeitiges Engagement einen erheblichen Anteil daran.
Dorothee Alfermann gehört ohne Zweifel zu den Vorreiterinnen und Vorreitern, die unermüdlich vom Beginn ihrer Karriere an für die Sichtbarkeit der Sportpsychologie im nationalen wie auch internationalen Raum hart gearbeitet, manchmal energisch gekämpft haben. Sie hat sich hier herausragende Verdienste erworben und nicht umsonst hat die FEPSAC, die europäische sportpsychologische Gesellschaft, Dorothee Alfermann 2015 den renommierten Ema-Geron-Award für ihre Verdienste um die Entwicklung der nationalen und internationalen Sportpsychologie verliehen.
Einige Schlaglichter, die dieses herausragende Engagement außerhalb ihrer eigenen Hochschule, in der sie immer bereit war, Verantwortung zu übernehmen, verdeutlichen dies. Sie war langjährig Mitglied in den Präsidien der asp, der Fachgesellschaft für Sportpsychologie (1983-1989) und war dann für vier Jahre von 1993 bis 1997 die Präsidentin der asp und erhielt 2016 für ihre herausragenden Verdienste die Goldene Ehrennadel. Ich hatte im Übrigen die Freude und die Ehre unter ihrer Leitung erstmalig, damals noch Habilitand, Mitglied in ihrem Präsidium zu sein. Ich habe viel gelernt und in gewisser Weise war Dorothee Alfermann ein Vorbild für mich in solchen Aufgaben, was bspw. ihre klare kompetente Führung in enger kollegialer, Zusammenarbeit mit dem Präsidium betraf.
Von 2001 bis 2005 war Dorothee Alfermann dann Vizepräsidentin der ISSP (International Society of Sport Psychology), der Weltorganisation für Sportpsychologie und war beteiligt an zahlreichen, Orientierung gebenden und viel gelesenen Positionspapieren der ISSP. Nach wie vor ist es ihr Anliegen, einen signifikanten Beitrag zur Internationalisierung zu leisten, sei es im Erasmus-Mundus-Graduierten-Programm, sei es durch ihre engen Beziehungen zu vielen Kolleginnen und Kollegen in aller Welt. Ich erinnere mich beispielsweise sehr gerne an unsere zahlreichen Begegnungen mit den japanischen Kolleginnen und Kollegen in den zahlreichen gemeinsamen Deutsch-Japanischen Symposien. Ein weiterer sehr bedeutsamer Beitrag hierzu war ihr Engagement bei der führenden Zeitschrift “Psychology of Sport and Exercise” (Organ der FEPSAC) im Elsevier Verlag, wo sie von 2004-2011 Editor-in-Chief war, zuerst zusammen mit Adrian Taylor (UK) und später mit Martin Hagger (UK, nun AUS).
Dorothee Alfermann hat sich aber auch nicht nur ausschließlich als Sportpsychologin verstanden, sondern insbesondere auch als Wissenschaftlerin, die eng verbunden ist mit dem Sport, dass der Sport eben Kernstück der Betrachtung der Sportwissenschaft ist. Ihr ist diese Verbindung immer ganz besonders wichtig, inhaltlich, strukturell und institutionell.
Die Positionierung der Sportpsychologie in der Sportwissenschaft, aber auch die Weiterentwicklung der Sportwissenschaft selbst war ihr immer ein großes Anliegen. Daher hat sie sich auch immer wieder in verschiedenen Ämtern und Rollen hier eingebracht, u.a. im Präsidium der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft, wo sie dann auch als Präsidentin in zwei Perioden von 2009-2013 Verantwortung trug.
Dorothee Alfermann kann zurückblicken auf einen umfangreichen, erfolgreichen Forschungsoutput, der keinen Vergleich zu scheuen braucht. Sie hat mehr als 100 Zeitschriftenbeiträge und Buchkapitel veröffentlicht (wenn ich es richtig gezählt habe), zahlreiche ihrer Forschungen wurden mit Drittmitteln von DFG, BISp und zahlreichen anderen Förderinstitutionen unterstützt. Sie hat sich thematisch u.a. mit sozialen und psychologischen Einflüssen auf die Karrieren von Athletinnen und Athleten, Karriereübergängen, mit dem physischen Selbstkonzept über die Lebensspanne, den Elterneinflüssen auf die Entwicklung von Athletinnen und Athleten mit kulturellen Unterschieden (z.B. zwischen asiatischen und deutschen Athletinnen und Athleten), mit sozialpsychologischen Fragen des Sports und vielem mehr beschäftigt. Zu den Publikationen kommen noch acht Monographien und Lehrbücher hinzu, einige Klassiker mittlerweile und vielfach verkauft und in vielen Lehrveranstaltungen eingesetzt, darunter finden sich Lehrbücher zur Sportpsychologie, eines mit Oliver Stoll, aber auch weit über den Sport hinausgehend zu Androgynie und zu Geschlechterrollen und geschlechtertypischem Verhalten
Dorothee Alfermann ist in vielerlei Hinsicht ein Rollenmodell und ein Vorbild für viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, aber auch über die Wissenschaft hinaus. Ihr wissenschaftliches Können, ihre Klarheit im Denken und in der Kommunikation, ihre Führungskompetenz und Durchsetzungskraft, aber auch die energiegeladene Ausstrahlung haben dazu geführt, dass sie zu einer Instanz in unserer Community geworden ist, zu der viele aufschauen und Unterstützung und Rat annehmen. Dorothee Alfermann ist aber auch jemand, mit dem man gerne diskutiert und auch den Abend bei einem guten Essen verbringt.
Viele Kolleginnen und Kollegen haben ihr sicherlich großen Dank zu sagen, für viele Dinge, und dies gilt in jedem Fall für mich persönlich auch. Ich bin mir sehr sicher, dass meine Karriere ohne ihre Unterstützung, ihre kritischen Worte, ohne die Diskussionen anders verlaufen wäre. Ich bin mir sicher, dass viele andere das gleiche sagen würden. Viele Jahre haben sie und ich in unterschiedlichsten Zusammenhängen und Rollen, zum Teil eng zusammen gearbeitet: als Editors, als Autorin und Autor an gemeinsamen Publikationen, in wissenschaftspolitischen Funktionen, als Präsidentin und Präsident und vielem mehr.
Ich kann aus eigener, persönlicher Anschauung über mehrere Jahrzehnte sagen, dass am 1. Mai 2019 mit Dorothee Alfermann eine der ganz großen Persönlichkeiten der internationalen und nationalen Sportpsychologie und Sportwissenschaft ihren 70. Geburtstag feiert.
Liebe Dorothee: Ich gratuliere Dir von ganzem Herzen
Bernd
Prof. Dr. Bernd Strauss
Präsident der asp