Sportpsychologin Petra Wagner: „Wir müssen selbstkritisch bekennen: Bisher fehlen in der Gesundheitsförderung die Erfolge zum Hochhalten der Motivation“
Der Stellenwert der Gesundheitsförderung durch Sport und Bewegung ist in unserem heutigen Gesundheitssystem in den letzten Jahren ständig gewachsen, wie sich zuletzt auf der Jahrestagung der Kommission Gesundheit der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft (dvs) in Vechta Anfang November 2010 zeigte. Die Bedeutung mündete sogar in einem nationalen Aktionsplan der Bundesregierung. Die Motivation der Menschen spielt dabei sowohl in der Prävention als auch in der Rehabilitation die ausschlaggebende Rolle. Nur wenn sie dauerhaft hoch gehalten werden kann, haben Interventionen langfristig Erfolg, wie Prof. Dr. Petra Wagner (Universität Leipzig), 2. Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Sportpsychologie (asp), in einem Interview erläutert.
Auf der Jahrestagung der dvs-Kommission Gesundheit in Vechta stand die Qualität der Gesundheitsförderung durch Bewegung im Fokus. Stark ausschlaggebend für die Qualität ist die ausreichende Motivation der Teilnehmer. Mit diesem Phänomen beschäftigen sich Sportpsychologen. Welche Erkenntnisse liegen bisher vor?
Prof. Dr. Petra Wagner: „In Vechta hat Prof. Dr. Reinhard Fuchs (Universität Freiburg) in seinem Hauptvortrag die Schwierigkeiten der Motivation bei Interventionen aus der Sicht der Sportpsychologen beschrieben. In Beispielen hat Fuchs die tiefere und nachhaltige Wirksamkeit sehr kritisch beleuchtet. Konkretisiert hat er dieses Vorgehen an dem Setting Arztpraxis, wo ein reines Ausgeben und Auslegen von Broschüren und Info-Flyern als Bewegungsberatung maximal zu kurzfristigen Erfolgen führt, langfristig aber eine Beratung mit unterstützenden Maßnahmen hilft. Uns fehlt aber noch das Wissen über diese Unterstützung, wie sie auszusehen hat.
Als Einstieg in das Gesundheitsverhalten ist diese Intervention durch den Arzt effektiv, wie Studien zeigen. Es gibt Verbesserungen, die aber kurzfristiger Natur sind, wenn keine weitere ärztliche Beratung erfolgt. Ein noch konkreteres Beispiel: Ein Patient mit Adipositas. Er wird in die Klinik überwiesen, dort ist er in vielen Fällen gut aufgehoben. Der Patient ist motiviert. Er bekommt präzise Anweisungen. Er beginnt sein Übergewicht abzubauen.
Anschließend kehrt er wieder nach Hause zurück und besucht seinen Arzt mit der Erwartung, jetzt eine Beratung über Folgemaßnahmen zu erhalten. Und diese kann der Arzt fatalerweise nicht vorweisen. Notwendig wäre etwas wie ein ´Bewegungs-Coach´, der gemeinsam mit den Menschen heraus findet, was er als Maßnahme braucht, und ihn dann dabei führt. Diese Kette wird derzeit leider bei uns irgendwo unterbrochen.“
Worin liegt denn dieser Mangel gegründet?
Prof. Dr. Petra Wagner: „Es gibt zum Einen einfach zu wenig Kostenträger, die sich mit diesem Thema der Nachhaltigkeit befassen und es ausreichend fördern. Zudem erschweren gesetzliche Rahmenvorgaben an vielen Stellen den Einstieg in die konkrete Forschung. Es gibt zwar immer wieder die Forderungen nach Nachhaltigkeit, aber zum Zweiten fehlen als mittelbare Folge aus der schwachen Unterstützung die Strukturen bei den meisten Bewegungsangeboten. Und zum Dritten hat auch die Sportwissenschaft nicht die Ansätze für die entsprechenden Lösungen parat. Wir haben noch keine Antwort gefunden auf die Frage: Wie schaffen wir eine Nachhaltigkeit, wie kommen wir zu einer Verstetigung der Verhaltensänderung?“
Fängt das Problem nicht schon früher bei der Frage an, wie bekomme ich überhaupt bestimmte Kreise wie z.B. sozial schwächere Schichten zu Sport und Bewegung?
Prof. Dr. Petra Wagner: „Das ist in der Tat richtig. Die vorher erwähnten Punkten gelten für Menschen, die schon aktiv sind, entweder von sich aus, durch Beratung beispielsweise eines Arztes oder im Rahmen eines Reha-Prozesses. Sie haben schon eine wichtige Hürde überwunden. Die viel gravierendere Frage ist doch, wie schaffen wir es, Menschen zur Bewegung zu motivieren, die bisher komplett inaktiv waren, die es am nötigsten hätten. Bisher ist es meist so, dass die, die schon aktiv sind, nun auch noch im Gesundheitssport aktiv werden. Zwar können wir in einzelnen Fällen der Inaktivität Fortschritte aufweisen. Bei älteren Frauen, die erwiesenermaßen in Jugend und im mittleren Alter viel inaktiver als Männer sind, gehen durch Interventionen die Teilnahmequoten im Rentenalter wieder hoch. Der Geschlechterunterschied ist viel kleiner geworden. Aber inaktive Männer zur Aktivität zu bewegen, ist viel, viel schwerer. Hier bleiben die Erfolge weitgehend aus.
Insgesamt ist dieser Zustand aus unserer Sicht sehr unbefriedigend. Die klare Schlussfolgerung: Wir brauchen einfach wirkungsvollere Maßnahmen. Was wir an Interventionen haben, fruchtet noch nicht. Wir haben aus einer selbstkritischen Warte heraus den Knackpunkt noch nicht geschafft.“
Worin liegt dieses Manko begründet?
Prof. Dr. Petra Wagner: „Wir würden es uns zu einfach machen, wenn wir sagen, es liegt am fehlenden Geld. Sicherlich gibt es nur wenige Kostenträger im Gesundheitswesen, die bereit sind, in Nachhaltigkeit gerade bei bisher inaktiven Menschen zu investieren. Klar geben uns die Kostenträger meist ein präzise umrissenes Zeitfenster vor, in dem die Intervention abgeschlossen sein muss, damit der Erfolg überprüft werden kann. Denn sie stehen unter einem enormen Finanzdruck.
Es liegt aber auch an der Wissenschaft. Wir müssen uns ständig hinterfragen, woran liegt es, dass ich mit meinem Interventionsansatz nicht weiter komme. Es ist extrem schwierig, qualitativ hochwertige Studien umzusetzen, wie Fuchs in Vechta gezeigt hat, denn die Thematik ist ungeheuer komplex. Wenn es einfacher wäre, wären wir bestimmt schon ein gutes Stück weiter. Aber es hilft alles nichts, hier müssen wir uns konkreter Gedanken machen.“
Was kann denn die asp als wissenschaftliche Vereinigung der Sportpsychologen tun, damit die Motivationsforschung bei der Bewegungsförderung endlich den ersehnten Schritt nach vorne macht?
Prof. Dr. Petra Wagner: „Wir müssten inne halten und ehrlich die Bedürfnisse der verschiedenen Beteiligten wie Patienten, Kostenträger, Krankenhäuser feststellen. Wir sollten die ausgetretenen Pfaden verlassen und ganz genau hinschauen, wo liegt denn ein Bedarf vor, und müssten dann die Konzeptionen präzise auf diese Bedürfnisse abstellen. Dieses Hinterfragen kann beispielsweise auf einem Kongress erfolgen. Dort sollte zunächst die Frage nach dem Status Quo in der Wissenschaft beantwortet werden, was haben wir denn überhaupt erreicht bisher, wie sieht denn konkret unser Wissenstand aus. Fuchs hat auf der Jahrestagung in Vechta eine sehr gute Vorlage geliefert.
Und danach müsste in einem zweiten Schritt das Hinterfragen der Bedürfnisse erfolgen. Und als letztes müsste daraus die Ableitung von neuen zielgerichteten Interventionsstudien erfolgen. Wenn wir nicht kritisch mit diesen Punkten umgehen, wird der zukünftige Weg so mühselig wie bisher bleiben und uns nicht richtig weiterbringen.“