Am 22. August 2009 verstarb nach längerer Krankheit Prof. Dr. Hermann Rieder im Alter von 81 Jahren. Als Athlet, Trainer, Sportpsychologe, Gründungsdirektor des Bundesinstituts für Sportwissenschaft, Experte im Behindertensport und als einer der letzten Generalisten der Sportwissenschaft hat er in seiner ihm eigenen Ausstrahlung Generationen von Sportwissenschaftlern, Studierenden und Athleten geprägt. Wir haben eine große Persönlichkeit des Deutschen Sports verloren.
Nach dem Studium der Fächer Germanistik, Geschichte und Leibesübungen in München war Hermann Rieder als Assistent an der Universität Würzburg tätig. Von 1968 bis 1994 leitete er das Institut für Leibesübungen der Universität Heidelberg, das im Jahr 1973 in Institut für Sport und Sportwissenschaft umbenannt wurde. Parallel dazu war er von 1971 bis 1977 Gründungsdirektor des Bundesinstituts für Sportwissenschaft.
Herrmann Rieder gehört zu einer der bestimmenden Persönlichkeiten in der Gründungsphase der Sportpsychologie in Deutschland. Auf Initiative von Karl Feige nahm er 1969 an der Gründungsversammlung der asp in Münster teil. Neben den Kollegen Feige, Gabler, Hahn, Röthig, Veit und Volkamer war er einer der sieben Gründungsmitglieder. Bereits 1971 folgte er Karl Feige in das Amt als 1. Vorsitzender der asp, das er bis zu seinem Ausscheiden 1985 inne hatte.
Auf europäischer Ebene übernahm er 1971 mit den Kollegen Erwin Hahn und Karl Feige die Verantwortung für die Organisation des 3. Europäischen Kongresses für Sportpsychologie, der ursprünglich in Bukarest, dann in Budapest vorgesehen war. Auf das Schreiben und den Hilferuf der Präsidentin der Europäischen Föderation für Sportpsychologie soll Herrmann Rieder zur Verblüffung der Kollegen Feige und Hahn unmittelbar geäußert haben: „Pack ma‘s!“ Der Kongress wurde dann 1972 in Köln mit insgesamt 91 Beiträgen durch 78 Referenten aus 22 Ländern durchgeführt.
1973 wird die asp Mitglied der 1965 gegründeten International Society of Sport Psychology (ISSP) und Herrmann Rieder wird auf dem Kongress in Madrid 1973 in den ISSP Vorstand als Generalsekretär gewählt.
In seiner wissenschaftlichen Tätigkeit hat Herrmann Rieder es stets verstanden, den Übergang von der “Theorie der Leibeserziehung” zur modernen Sportwissenschaft herzustellen. In seinem umfangreichen Publikationsverzeichnis finden sich Beiträge aus der Sportpsychologie, der Bewegungslehre, der Trainingslehre und aus dem von ihm entwickelten interdisziplinären Forschungsfeld des Behindertensports und der Sporttherapie. Für seine wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Leistungen erhielt er den renommierten Philip Noel-Baker-Preis der Internationalen Vereinigung für Sportwissenschaft (ICSSPE), das Bundesverdienstkreuz am Bande und das Bundesverdienstkreuz erster Klasse.
Eine zentrale Motivation für sein Denken und Handeln war für Hermann Rieder das aktive Sporttreiben. Bereits 1950 war er als Handballspieler in der Studentennationalmannschaft dabei und konnte 1953 mit der Mannschaft eine Medaille erzielen. Seine große Leidenschaft galt allerdings dem Speerwurf. 1955 wurde er in San Sebastian mit dem letzten Versuch Studentenweltmeister im Speerwurf. Seine praktischen Kenntnisse, aber auch seine kommunikativen Qualitäten nutzte er, um als Trainer 1972 Klaus Wolfermann zum Olympiasieg und Klaus Tafelmeier 1986 zu EM-Gold zu führen. So widmete er sich auch nach seiner Emeritierung – auf der Grundlage seines Geschichtsstudiums und seiner leistungssportlichen Kompetenz – der „Kulturgeschichte des Speerwurfs“.
Herrmann Rieder war ein kommunikativer und motivierender Lehrer, Diskussionspartner und ein Vorbild für viele, die ihn kannten. Wir werden ihn als Mentor der Sportwissenschaft in Erinnerung behalten.