Die Olympischen Sommerspiele 2012 sind mit einer spektakulären Schlussfeier zu Ende gegangen. Was war für Sie – aus sportpsychologischer Sicht – das Spektakulärste dieser Olympiade?
Ganz klar positiv ist aufgefallen, dass während dieser olympischen Spiele die Vielfalt des olympischen Sports wieder einmal zu Tage getreten ist und wir mitbekommen haben, was für grandiose Sportarten und auch Athleten mit Charisma es in anderen Sportarten gibt, die aber leider abseits von Olympia durch das Mediensieb fallen, da unsere Sportmedienwelt auf wenige Sportarten fokussiert ist. Dass damit das öffentlich rechtliche Fernsehen seinem Bildungsauftrag nachgekommen ist, ist zunächst erfreulich. Gleichzeitig macht es für mich deutlich, wie sehr die Medien hier als Wahrnehmungsfilter wirken.
Die Interviews mit Hans Dieter Hermann im ZDF waren für mich aus sportpsychologischer Sicht spektakulär, denn hier fand über den gesamten Zeitraum der Spiele die Thematisierung sportpsychologischer Themen statt. Dies sehe es als großen Schritt nach vorne, dass vor einer breiten Öffentlichkeit von einem bedeutenden Experten sehr kompetent verschiedene sportpsychologische Fragen besprochen wurden.
In den Medien fällt die Deutsche Olympia Bilanz zwiespältig aus. Mangelnde Medaillen und mangelnde Transparenz waren über lange Zeit die meistdiskutierten Themen, auch wenn die Medaillen-Vorgaben des Innenministeriums inzwischen veröffentlich und die Goldmedaillengewinner gefeiert wurden. Welche Rückschlüsse aus diesen Diskussionen ergeben sich daraus für die Sportpsychologie und ihre Beteiligung am Hochleistungssport?
Obwohl das deutsche Team mehr Medaillen erzielt hat, als in Peking, fokussieren sich die Medien stark auf den Mangel und das Nicht-Erfüllen von Erwartungen. Hier wird wieder am Defizit polarisiert, d.h. das Glas ist immer halb leer. Immer wieder geht es um überhöhte Erwartungen, auch aufgrund der bekannt gewordenen Medaillen-Vorgaben. De facto sind wir im Vergleich zu Peking mit einer geringeren Personenzahl zur Olympiade gefahren. Viele Mannschaftssportarten haben nicht die Qualifikation geschafft, was vorher nicht zu erwarten war. Auf dieser Grundlage muss man sagen, dass sich das „Team Germany“ gut geschlagen hat. Ich warne vor zu hohen Erwartungen, aber vielleicht dient diese "Medienschelte" dazu, dass das System Leistungssport mehr diskutiert wird. In diesem Zusammenhang ist auch die Sportpsychologie zu nennen, die einen wichtigen Part in diesem System Leistungssport spielt.
Wenn sich insgesamt die Entscheidungsträger zusammensetzen wäre es gut, offensiver über das gesamte Leistungssport-System und auch über die Gratifikationen nachzudenken. Hier gibt es schon Vorschläge einzelner Trainer, sich an Best-Practice-Beispielen anderer Länder zu orientieren, oder auch einen Ideenwettbewerb auszuloben, was ich grundsätzlich für eine gute Idee halte. Wichtig erscheint mir, dass Trainer, Funktionäre, verantwortliche Institutionen aber auch die Wissenschaft sich zusammensetzen, um langfristige Konzeptionen zu erarbeiten und nicht nur in kurzfristigen Vierjahreszyklen denken.
Ganz sicher kann man in der Talentfindung und -förderung ansetzen. Dort gibt es einige erfolgsversprechende Projekte, die sicher noch weiter gedacht werden können und mit unserem Bildungs- und Erziehungssystemen weiter diskutiert werden sollten. Besonders in der Nachwuchsarbeit sehe ich die Rolle der Sportpsychologie. Hier haben wir eine wichtige Unterstützungsfunktion für die Persönlichkeitsentwicklung von Athleten. Als Beispiel kann ist das seit einigen Jahren erfolgreiche Projekt mit dem deutschen Skiverband nennen. Hier ist gezielt die sportpsychologische Wissensvermittlung und Betreuung schon in den Nachwuchsbereich implementiert worden - so etwas sollte unbedingt auch auf andere Spitzenverbände übertragen werden. Wichtig ist dabei, dass die Projekte auf Nachhaltigkeit angelegt sind. Wenn die Nachwuchssportler von der sportpsychologischen Unterstützung überzeugt sind, dann greifen auch die sportpsychologischen Prinzipien, wenn sich diese zu Spitzenathleten entwickelt haben.
In einem Interview benannten die Goldmedaillen-Gewinner im Beachvolleyball Brink und Reckermann als wesentlichen Erfolgsfaktor, um in den entscheidenden Momenten fokussiert zu bleiben, ihre sportpsychologische Betreuung. Lässt sich daraus ein Wandel bei den Athleten ableiten, dass sie die sportpsychologische Begleitung nicht mehr als Makel sondern als wichtigen Bestandteil des Trainings sehen und wie kann die Sportpsychologie davon profitieren?
Auf jeden Fall ist dies ein Beispiel für eine nachhaltige Zusammenarbeit mit der Sportpsychologie. Brink und Reckermann haben sich bewusst mit dem Thema auseinander gesetzt und arbeiten schon seit Jahren mit Lother Linz, einem erfahrenen Sportpsychologen zusammen. Der jetzige Erfolg geht auf langjährige Erfahrungen in den den Top-Events zurück, wo das Team Erfolge und Titel als Weltmeister, Europameister und jetzt auch Olympiasieger erzielen konnten. Die Beachvolleyballer haben das sportpsychologische Programm ins Training und in die Wettkampfvorbereitung aufgenommen. Die Zusammenarbeit mit dem Sportpsychologen ist zur Normalität geworden.
Auch wenn in London ein Pool von Sportpsychologen für die deutschen Sportler zur Verfügung stand, ist diese Normalität noch stärker zu betonen. Nicht alle Spitzenverbände arbeiten mit einem Sportpsychologen zusammen. Außerdem waren die Ressourcen für eine Akkreditierung der Betreuer eher begrenzt. Die Entwicklung bei einigen großen Verbänden, wie in der Leichtathletik, wo entsprechende Positionen und Betreuungssituationen koordiniert und umgesetzt werden, sehe ich als einen positiven Schritt in die Zukunft.
Der mentale Bereich innerhalb des gesamten Trainingsbereichs scheint im Leistungssport noch ausbaufähig, wie auch BISp-Direktor Jürgen Fischer in einem Interview betonte. Wie hoch schätzen Sie das Potenzial der mentalen Ausrichtung ein?
Ziel sollte sein, dass wir Teil eines Betreuungssystems werden, in dem die Sportpsychologie ihren Raum hat und klar ist, dass auf sie nicht verzichtet werden darf. Wir müssen mit an den Tisch, wenn Trainingsplanung und Betreuungsbedarfe geklärt werden. Dort wird sich dann beim jeweiligen Athleten oder Trainer entscheiden, welchen Part die Sportpsychologie tatsächlich einnehmen soll.
Ein starkes Potenzial sehe ich in der Nachwuchsförderung – da muss die Sportpsychologie fest verankert sein. Im Betreuungssystem von Athlet, Trainer und Sportpsychologe kann es sehr unterschiedliche Anpassungen geben. Auch sollten wir den Ansatz „Coach the Coach“ nicht vergessen. Hier wird der Trainer gezielt vom Sportpsychologen unterstützt, um den Kopf freizuhalten und um Raum zu haben, unabhängig vom Team über Dinge zu sprechen und zu lernen, sich selbst zu regulieren. Dies ist ein Ansatz, über den man noch stärker nachdenken sollte.
Das Angebot an Mentaltrainern ist riesig und übersichtlich. Wie kann ein Athlet die für sich passende Begleitung finden, wie kann er die Qualität erkennen, welche Standards gibt es und worauf sollte man bei der Auswahl Wert legen?
Hier ist natürlich die vom BISp geführte Expertendatenbank die erste Adresse. In ihr sind die Sportpsychologen aufgenommen, die unser asp-Curriculum „Sportpsychologie im Leistungssport“ durchgeführt haben, so dass wir davon ausgehen können, dass sie ihre Betreuung nach psychologisch bewährten Kriterien durchführen. Davon können wir bei Mentaltrainern nicht von vorne herein ausgehen. Hier gibt es einen großen grauen Markt, auf dem zum Teil sehr unterschiedliche Qualifikationen vorhanden sind und wo sich Personen selbst zum Mentaltrainer ernennen. Das Problem ist hier, dass häufig Methoden genutzt werden, die psychologisch nicht fundiert sind und die wir als kritisch erachten, da sie bestimmte Abhängigkeiten von Mentaltrainer und Klient hervorrufen können, die nicht im Sinne einer guten sportpsychologischen Betreuung stehen.
Natürlich verfügen nicht alle in der Experten-Datenbank geführten Sportpsychologen über die gleiche umfangreiche Erfahrung. Daher sollte man direkt beim BISp der bei der asp nachfragen oder ggf. sich mit erfahrenen Experten aus den Olympia-Stützpunkten abstimmen. Bei aller Diskussion um den Leistungsbereich der auch in den Medien transportiert wird, sollte jedoch nicht vergessen werden, dass die Sportpsychologie viel mehr Facetten besitzt und daher nicht nur auf den Anwendungsbereich im Leistungssport reduziert werden sollte. Zahlreiche Kollegen haben ihren Schwerpunkt in der Forschung, andere wiederum verfolgen Forschungsfragen oder anwendungsrelevante Projekte in der die sportpsychologischen Gesundheitsförderung.