Seit 15 Jahren arbeitet Lothar Linz als Sportpsychologe und kann in verschiedenen Sportarten, von Fußball bis Feldhockey auf beachtliche Erfolge zurückblicken, zuletzt als Betreuer des Beachvolleyball-Teams Brink/Reckermann, die in London mit der Goldmedaille ausgezeichnet wurden. Im Interview berichtet er über seinen Weg dorthin, seine Erfahrungen und spricht über zukünftige Chancen für Sportpsychologen.
Was hat Sie vor 15 Jahre dazu gebracht, Sportpsychologe zu werden?
Damals war ich in der Situation, mir zu überlegen, wie genau ich beruflich weitermache, da ich bis dahin therapeutisch gearbeitet hatte, und aufgrund des neuen Psychotherapeutengesetzes vor veränderten Bedingungen stand. Ich habe dann beobachtet, dass wenn ich im Fußballstadion oder bei anderen Sportveranstaltungen zugeschaut habe, ich dies zunehmend mit psychologisch Blick getan habe und dass meine Wahrnehmung eine andere war als die der Menschen um mich herum.
Das hat mich aufmerken lassen und da ich mich schon immer für Sport interessiert habe und auch selbst sportlich aktiv war, kam mir die Idee. Zu dem Zeitpunkt waren Sportpsychologen auf dem freien Markt noch nicht etabliert, doch ich habe mich entschieden es zu versuchen und bin dabei geblieben.
War es nicht sehr schwierig, in diesem damals nicht etablierten Bereich Fuß zu fassen und wie haben Sie es geschafft, auf sich aufmerksam zu machen?
Ich musste relativ viel Akquise betreiben, habe auch viele Rückschläge erlebt und die ersten Jahre waren sehr entbehrungsreich, wie das bei einer Geschäftsgründung ja häufig ist. Allerdings vermute ich nicht, dass es heutzutage leichter ist. Heute ist zwar der Markt etablierter, gleichzeitig ist aber das Angebot größer. Ich habe damals ganz klein angefangen mit einzelnen Athleten und mit einem Fußballverein, der Landesliga gespielt hat. Nachdem wir dort den Aufstieg geschafft haben, wurde ich mehr wahrgenommen und bekam die Möglichkeit, in der Handball-Damenbundesliga zu arbeiten. So ging es Schritt für Schritt voran. Ein Durchbruch war für mich die Arbeit mit dem Hockeybund. Hier habe ich vier Jahre mit Bernhard Peters gearbeitet und die Herren-Nationalmannschaft im Feldhockey betreut.
Muss man als Sportpsychologe über Erfahrungen in der Sportart verfügen, die der Athlet, den man betreut ausübt oder anders gefragt: welches Wissen über die jeweilige Sportart ist nötig, um den Athleten zu unterstützen?
Es ist wichtig, hier zwischen Vorerfahrungen und Wissen zu unterscheiden. Früher gab es immer die Forderung, man müsse die Sportart selber betrieben haben. Inzwischen weiß man, dass das so nicht stimmt. Was es allerdings braucht ist, ein Verständnis für die Sportart zu haben. Ich muss ein Gefühl dafür haben, was da passiert und mir im Vorfeld Grundwissen aneignen. Zusätzlich ist es wichtig, so oft wie möglich mit zum Wettkampf zu gehen, zu beobachten, nachzufragen und so mitzubekommen, wie die Sportart funktioniert. Das ist wesentlich, damit ich verstehen kann, was in den Athleten vorgeht. Nehmen wir ein Beispiel aus dem Beachvolleyball: Hier gibt es Besonderheiten in Bezug auf den Aufschlag. Wenn der Gegner Aufschlag hat und man selber in der Annahme ist, sollte das in der Regel der eigene Punkt sein. Dadurch ist der Druck auf den Spieler, der die Annahme hat sehr hoch. Ich komme selber aus dem Tennis, kenne die Doppelsituation sehr gut, was mir den Zugang zum Beachvolleyball leicht macht, aber die Besonderheit ist, dass nicht wie im Tennis der Aufschlag abwechselnd auf jeden Gegenspieler erfolgt, sondern der Gegner sich aussuchen kann, auf wen er aufschlägt. Das heißt, es kann beim Beachvolleyball passieren, dass man plötzlich jeden sogenannten Side Out bekommt und hauptverantwortlich dafür ist, die Punkte zu machen. Das ist ein massiver Druck, der so im Tennis nicht besteht.
Wie sind Sie in den Kontakt mit Beachvolleyball gekommen?
Ich bin für den Olympiastützpunkt Rheinland tätig. Markus Diekmann war damals aktiver Beachvolleyballer und hat über den Olympiastützpunkt den Weg zu mir gefunden. Nachdem er seine aktive Karriere verletzungsbedingt beenden musste, hat er als Trainer weitergearbeitet und u.a. seinen Bruder Christoph Diekmann trainiert. So kam es, dass ich zunächst das Team Brink/Diekmann betreut habe und in der Folge dann seit seinem Bestehen 2009 das Team Brink/Reckermann betreue.
War die Vorbereitung auf die olympischen Spiele eher ein fortlaufender Prozess oder gab es eine explizite Vorbereitungsphase?
Ich habe im Beachvolleyball zwei Teams auf die Olympischen Spiele vorbereitet, das Männerteam Brink/Reckermann und das Frauenteam Holtwick/Semmler. Bei Brink/Reckermann war von Anfang an geplant, dass die Athleten in den 4 Jahren bis zur Olympiade von einem festen Team betreut wurden. Einem Haupttrainer, zwei weiteren Trainern für Balltraining und Athletenentwicklung und mich als Sportpsychologe für die mentale Seite. Die Vorbereitungen selbst waren von Team zu Team unterschiedlich. Es ist auch wichtig, dass man das Vorgehen auf das jeweilige Team und seine Ziele individuell anpasst. Zum Beispiel haben wir im Männerteam nie gesagt, wir fahren nach London, um Olympiasieger zu werden, sondern für uns stand die Leistung in Vordergrund. Ziel war es, die Leistung über die 4 Jahre kontinuierlich zu entwickeln, mit dem Wissen, dass es dann möglich ist, eine Medaille zu gewinnen. Durch die gesundheitlichen Probleme war es lange unklar, wie wir als Team abschneiden können. Doch es war klar, dass wir, auch wenn wir im Viertel- oder Achtelfinale ausscheiden zufrieden nach Hause fahren können, wenn wir mit der Leistung zufrieden sind. Für das Frauenteam war es insofern anders, als hier leistungsbedingt ein größerer Fokus auf der Qualifikation lag und das Ziel daher war, die Teilnahme bei der Olympiade zu erreichen.
Wie waren Ihre Erfahrungen in London? Gibt es während der Wettkämpfe überhaupt noch eine Möglichkeit, als Sportpsychologe etwas zu bewirken?
Ich bin fest davon überzeugt, dass es sich für jedes Team lohnt, den Sportpsychologen zum Wettkampf mitzunehmen. Inzwischen sehen das die meisten Verbände genauso, auch wenn es oft an den mangelnden Akkreditierungsmöglichkeiten scheitert. Ich habe die Vor-Ort-Betreuung von Anfang an vertreten. Als ich das erste Mal mit dem Hockeyteam vor 10 Jahren mit bei der WM war, gab es Stimmen die sagten, man müsse alles vorher vorbereiten, so dass die Athleten dann alleine klarkämen. Doch mich haben meine Erfahrungen all die Jahre bestätigt, dass das Gegenteil der Fall ist, denn es passieren einfach Dinge vor Ort, die man nicht planen kann und es ist wichtig, dass die Athleten dann die Möglichkeit haben, sportpsychologische Betreuung zu nutzen. Ich kann das auch am Beispiel von Brink/Reckermann sehen. Hier konnte ich vor dem Halbfinale noch mal hilfreich sein - ohne dass ich damit sagen will, sie haben wegen mir gewonnen - doch als klar war, nun ist es möglich, eine Medaille zu gewinnen war es für beide gut, nochmals konkreten Einfluss auf die Steuerung zu nehmen, um die Angst vor dieser Drucksituation in den Griff zu bekommen. Daher sehe ich die Möglichkeiten, vor Ort noch etwas zu tun als groß an, aber groß natürlich im relativen Maß, denn im Vordergrund steht die Leistung des Athleten. Ich kann ihn nur dabei unterstützen, diese im Idealfall im richtigen Augenblick zu 100% abzurufen.
Von den Beachvolleyball-Teams wurde die Vor-Ort-Betreuung sowohl von den Athleten als auch Trainern gewünscht. Nachdem ich 2008 nicht mit in Peking gewesen bin, hatte der Trainer entschieden, nicht mehr ohne Sportpsychologen zum Wettkampf zu fahren. Da lange nicht klar war, ob ich für London eine Akkreditierung bekomme, hatten die Athleten vorsorglich ein Hotelzimmer gebucht, weil sie mich auf jeden Fall dabei haben wollten.
Was ist - rückblickend auf die Olympischen Spiele und diesen maximalen Erfolg beim Herren-Team - Ihr Fazit für Ihre Arbeit als betreuender Psychologe im Leistungssport?
Unabhängig vom Sportpsychologischen ist London ein gigantisches Erlebnis gewesen. Hier muss man den Briten ein ganz großes Kompliment machen, wie toll sie es hinbekommen haben, diese Olympischen Spiele zu gestalten, so dass jeder der da war, ganz persönlich bereichert zurückgekehrt ist.
Was die sportpsychologische Arbeit betrifft, gibt es für mich zwei Schlüsselerkenntnisse. Erstens ist für mich nochmals der Stellenwert der mentalen Vorbereitung deutlich geworden. Ich habe in London den Unterschied zwischen den Teams gesehen, die auf die Umstände, was Olympia bedeutet mental nicht vorbereitet waren und denen die wussten, was sie erwartet. Teams, die völlig überfordert waren und Teams, die wesentlich stabiler angetreten sind. Es ist wichtig, nervlich vorbereitet zu sein und zu wissen, wann und wie man sich konzentrieren kann, wenn so viel von außen eindringt. Das ist eine wichtige Erkenntnis, die Athleten, speziell auch die, die das erste Mal bei einer Olympiade dabei sind, mental vorzubereiten, damit sie gut präpariert sind.
Das zweite, das bei uns gut funktioniert hat ist, dass wir uns vor Ort vernünftig organisiert haben. Angefangen bei Fragen, wann man im Olympischen Dorf ist, wo man eine Möglichkeit hat, Ruhe zu finden vor dem Wettkampf oder ob man möglicherweise in der Nacht vor dem Wettkampf in ein Hotelzimmer geht. Solche Dinge gezielt zu überlegen, zu planen und dann umzusetzen ist wichtig, weil es einfach Auswirkungen auf die sportliche Leistung hat. Das ist eine sehr wichtige Erkenntnis, auch über mein Team hinaus.
Wie groß ist Ihr Einfluss, diese Dinge in den Verbänden umzusetzen und was sind Ihre Wünsche für die Entwicklung der Sportpsychologie im Leistungssport?
In den Verbänden, in denen ich tätig bin, habe ich diese Möglichkeiten inzwischen. Erfreulich ist, dass wir vom DOSB zur Bundestrainertagung eingeladen wurden, so dass ich dort von meinen Erfahrungen in London erzählen durfte. Dadurch besteht die Hoffnung, dass Sportdirektoren und Bundestrainer aus anderen Verbänden diese Eindrücke mitnehmen und für ihre Athleten nutzen.
Mein Wunsch für die Sportpsychologie wäre, dass noch mehr von uns bei Wettkämpfen vor Ort sein könnten und wir noch stärker in die Betreuung integriert werden könnten. Ich weiß natürlich um die Schwierigkeiten der limitierten Akkreditierungen und in dieser Situation ist es dann anmaßend zu sagen, wir sind wichtiger als ein Arzt. Doch der Nutzen ist offensichtlich hoch, denn es ist sicher kein Zufall, dass bis auf eine Ausnahme alle Verbände, die mit Sportpsychologen angereist sind, sehr gut abgeschnitten haben.
Wie sehen Sie generell den Stellenwert und die öffentliche Wahrnehmung der Sportpsychologie im Leistungssport in ihrer Entwicklung vom Nischendasein, als Sie vor 15 Jahren angefangen haben bis heute?
Da hat sich extrem viel zu unserem Vorteil getan, worüber ich froh bin und auch stolz, weil wir alle, die in diesem Bereich arbeiten das durch unsere gute Arbeit mit bewirkt haben. Im olympischen Bereich sind wir inzwischen sehr etabliert, so dass nahezu alle olympischen Verbände in irgendeiner Form mit Sportpsychologen zusammenarbeiten. Was sicherlich noch optimiert werden kann, ist die Betreuung im Profisport. Hier wird meist immer noch sehr kurzfristig agiert. Das ist im verbandlichen Rhythmus anders. Hier wird zunehmend langfristig gearbeitet und Kollegen werden langfristig engagiert. Auch im Fußball passiert inzwischen immer mehr, auch Dank Hans-Dieter Hermann der da ein sehr gutes Bild abgegeben hat. Aber trotzdem haben viele Vereine den Nutzen noch nicht erkannt und agieren kurzfristig. Da ist noch Entwicklungspotential, bis die Botschaft ankommt, dass die Kraft der Sportpsychologie in der Nachhaltigkeit und nicht in der Kurzfristigkeit liegt.
Woran liegt der Unterschied der Akzeptanz der Sportpsychologie Ihrer Meinung nach?
Hier gibt es sicherlich sehr unterschiedliche Gründe. Überall, wo es um viel Geld geht, ist der Druck größer, was die Kurzfristigkeit des Denkens fördert. Zum Beispiel bei akuter Abstiegsgefahr im Fußball. Wenn es um Millionen geht, ist in diesen Momenten die Panik viel größer, so dass nicht immer die Vernunft regiert sondern oft der Aktionismus. Hinzu kommt, das in den unterschiedlichen Bereichen eben auch unterschiedliche Umgebungsbedingungen herrschen und es oft von der persönlichen Einstellung der Entscheider abhängt, ob und wie die Möglichkeiten der Sportpsychologie genutzt werden.
Sie sagten, dass die Kraft der Sportpsychologie in der Nachhaltigkeit liege. Ist das auch das Rezept für Ihren Erfolg mit dem Team Brink/Reckermann?
Es gibt diesen schönen Satz: "Glück entsteht, wenn das Vorbereitet sein auf die Gelegenheit trifft!" So war auch der Medaillengewinn eine Sache, bei der viele Faktoren zusammengekommen sind, inklusive ein Stück Glück, das auch dazu gehört. Es gibt immer Momente, in denen einfach der Flow da ist und man weiß, jetzt ist alles möglich und dann gelingt auch alles. Doch Erfolg ist nicht beliebig machbar sondern das Ergebnis eines langen Wegs, wie unsere Vorbereitung für London, bei der über 4 Jahre alle mit großem Einsatz auf dasselbe Ziel hingearbeitet haben – und dieser Plan ist aufgegangen.
Rückblickend auf Olympia kann ich sagen, dass die Nachhaltigkeit ein wichtiger Baustein des Erfolgs war. Wie bei allen anderen Trainingsbereichen auch, gab es feste Pläne der sportpsychologischen Begleitung. Sicherlich kann man, etwa in einer kritischen Situation immer auch mit kurzen Interventionen Effekte erzielen, die dazu verleiten könnten, dass eine punktuelle Betreuung völlig ausreichend ist. Doch ohne Nachhaltigkeit holen einen irgendwann die Probleme wieder ein.
Sie sind u.a. auch in der Ausbildung von Sportpsychologen beteiligt. Was muss man persönlich mitbringen, um als Sportpsychologe im Leistungssport erfolgreich zu werden?
Was mir in den Ausbildungen, ob in Deutschland oder Österreich, immer wieder auffällt ist, dass dort Teilnehmer anzutreffen sind, bei denen ich nicht verstehe, warum sie in den Sport wollen, weil sie keinerlei persönlichen Bezug mitbringen. Ich finde, wenn man in diesem Bereich arbeiten will, muss man auch Sportbegeistert sein und ein sportliches Grundwissen mitbringen, ansonsten macht das auf Dauer keinen Sinn.
Dann finde ich eine gewisse Beharrlichkeit und Geduld wichtig, weil man wie in jeder Branche Zeit braucht, Fuß zu fassen und sich durchzusetzen und das erfordert, dass man durchhalten kann. Eine Fähigkeit, die ja Athleten auch mitbringen müssen, so dass man das Leben muss, was die Athleten auch brauchen.
Und dann finde ich wichtig - und das musste ich auch lernen - eine gewisse Zurückhaltung zu wahren. Wir Sportpsychologen sind darauf angewiesen, dass wir uns nicht zu stark persönlich profilieren, sondern dass wir einfach Kraft unser Arbeit glänzen und nicht so sehr durch große Auftritte. Wenn man jung ist, hat man oft stärker den Drang, sich zu zeigen, um Anerkennung zu finden und muss lernen, dass die Anerkennung mit der Qualität der Arbeit kommt.
Vielen Dank für das Gespräch!
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Zur Person:
Lothar Linz ist Diplom-Psychologe mit Weiterbildung in Systemischer Therapie und Psychosynthese.
Seit 1997 selbständiger praktischer Sportpsychologe mit eigenem Unternehmen (Sportsgeist) in
Bergisch Gladbach. Seit 2012 Partner bei "Coaching Competence Cooperation - Sports and Business" (CCC).
Kontakt: E-Mail: llinz@ccc-network.de Homepage: http://www.ccc-network.de