Es war nicht nur für alle, die ihn persönlich kannten, eine bestürzende Nachricht: Prof. Dr. Dietmar Martin Samulski ist nach einem bis zuletzt beeindruckend aktiven und produktiven Leben und schließlich einem mehrjährigen bewundernswürdigen Kampf gegen eine schwere Erkrankung am 1. Dezember 2012 in Belo Horizonte (Brasilien) verstorben.
Dietmar Samulski, am 07.02.1950 in Gummersbach geboren, schloss 1974 sein Diplom-Sportlehrerstudium an der Deutschen Sporthochschule Köln und 1977 das Psychologiestudium an der Universität Bonn ab. Seine dann lebenslang erhalten gebliebene Verbundenheit mit dem Psychologischen Institut der Sporthochschule begann schon als studentische Hilfskraft (1972-1974) und wissenschaftliche Hilfskraft (1975-1977) in der Aufbauphase des Instituts. Zum 01.10.1977 nahm er ein Vertragsangebot der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) an, um im Rahmen eines deutsch-kolumbianischen Entwicklungsprojekts als Sportpädagoge in Cali tätig zu werden. Am 01.01.1982 kehrte er als wissenschaftlicher Mitarbeiter zunächst an das Psychologische Institut zurück. Bis zum 15.08.1987 wirkte er maßgeblich an zwei Forschungsprojekten zur „Selbstmotivierung im Sport“ mit, die ersten von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekte des Instituts überhaupt. In diese Zeit fällt auch 1985 seine Promotion zum Doktor der Sportwissenschaften (Dr. Sportwiss.) mit der von Prof. Dr. Jürgen R. Nitsch betreuten, von der Hochschule ausgezeichneten und 1986 veröffentlichten Dissertation „Selbstmotivierung im Sportunterricht – Analyse von Selbstmotivierungsprozessen auf der Grundlage motivationstheoretischer Konzepte, relevanter Interventionsprogramme und einer Interviewstudie mit Schülern und Sportlehrern“.
1987 begann in Belo Horizonte seine dritte berufliche Phase, in der er zu einem weit über Brasilien hinaus bekannten sportpsychologischen Experten wurde. Mit Unterstützung des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) nimmt er eine Gastprofessur an der Universidade Federal de Minas Gerais (UFMG) an und wird später dann von dieser Universität als Hochschullehrer übernommen. Ihm werden u.a. die Leitung des Laboratorio de Psicologia do Esporte (LAPES) sowie 1998-2002 und 2006-2008 auch des Centro de Excelência Esportiva (CENESP) an der UFMG übertragen. Am 16.03.2010 erreicht er den Höhepunkt seiner universitären Karriere mit der Berufung zum „Professor Titular“ für Sportpsychologie an der Escola de Educação Física, Fisioterapia e Terapia Ocupacional (EEFFTO) der UFMG.
Auch außerhalb der Universität gewann Dietmar Samulski außergewöhnliche wissenschaftliche Anerkennung. Seine Berufungen in zahlreiche einflussreiche Positionen der Scientific Community belegen dies eindrucksvoll. Er war u.a. Mitglied in etlichen Herausgebergremien wissenschaftlicher Zeitschriften, Chairman und Organisator wissenschaftlicher Kongresse und Symposien und vor allem langjährig in den Vorständen verschiedener wissenschaftlicher Gesellschaften tätig: Präsident der Sociedade Mineira de Psicologia do Esporte (SOMIPE), der Sociedade Brasileira de Psicologia do Esporte (SOBRAPE, 2002-2006), der Sociedade Sulamericana de Psicologia do Esporte (SOSUPE, 2006-2011) und Vorstandsmitglied der Sociedad Iberoamericana de Psicologia del Deporte (SIPD) sowie der International Society of Sport Psychology (ISSP, 2001-2005).
In der Forschung griff er die Kernthemen sportlicher Aktivität – Leistung, Gesundheit, Lebensqualität – in stets sorgfältig theoriegeleiteter Anwendungsorientierung auf. Sein besonderes Interesse galt dem sportlichen und speziell psychologischen Training in Bezug auf verschiedene Sportarten und unterschiedliche Sportfelder, vom Schulsport bis zum internationalen Spitzensport. Inhaltliche Akzente lagen dabei vor allem auf den Themen Motivation, Kommunikation, Stress, Übertraining, Burnout bei Athleten und Trainern, Mentales Training und nicht zuletzt auch auf dem Bezug von sportlicher Aktivität und Lebensqualität. Die mit gleichermaßen wissenschaftlicher und sportlicher Expertise vorgenommene Behandlung dieses breiten Themenspektrums führte nicht nur zu außergewöhnlich zahlreichen Vortragseinladungen im In- und Ausland. Sie prägte vor allem auch sein umfangsreiches wissenschaftliches Oeuvre mit rund 150 Veröffentlichungen in vier Sprachen (Deutsch, Englisch, Spanisch und vor allem Portugiesisch), darunter 16 Bücher. Sein 2009 in der zweiten Auflage erschienenes Lehrbuch „Psicologia do esporte: conceitos e novas perspectivas” wurde nicht nur in Brasilien zu einem Standardwerk der Sportpsychologie. Ein weiteres Buch zu einer ihm besonders wichtigen Thematik, „Superation of Limits: The Paralympic Athletes“, konnte neben anderen von ihm nicht mehr fertiggestellt werden.
Die breite wissenschaftliche Ausrichtung bildete auch die solide Grundlage für eine rund 30jährige sehr erfolgreiche und viel beachtete sportpsychologische Tätigkeit in der Praxis auf unterschiedlichen Leistungsniveaus und in unterschiedlichen Sportarten , u.a. Volleyball, Handball, Fußball, Schwimmen, Judo, Radsport und besonders auch Tennis. Hervorzuheben sind die psychologische Vorbereitung der brasilianischen Frauen-Nationalmannschaften im Volleyball (1993-1994) und Handball (1997), der Fußballvereinsmannschaft des bekannten Cruzeiro Esporte Clube in Belo Horizonte (1996) und vor allem seine Berufung als Sportpsychologe in die Brasilianische Delegation bei verschiedenen sportlichen Großereignissen: Panamerikanische und Para-Panamerikanische Spiele in Brasilien (Rio, 2007), Panamerikanische Spiele in Mexiko (Guadalajara, 2011), Olympische Spiele in Athen (2004) und Paralympics in Sydney (2000), Athen (2004) und Peking (2008). Seine eigentlich auch für die Olympischen Spiele In London (2012) vor Ort vorgesehene Mitwirkung musste er auf die psychologische Vorbereitung im Vorfeld der Spiele beschränken.
Sport war für ihn aber nicht nur ein ihn brennend interessierender, wissenschaftlich zu behandelnder und in der Praxis zu gestaltender Gegenstand. In seiner aktiven Ausübung war er für ihn immer auch und bis zuletzt ein Lebenselixier und dann, wie er es formulierte, auch Hoffnungsträger in seinem eigenen „Überlebenskampf“.
Dietmar Samulski war mehr als nur ein ausgewiesener Fachmann, dessen unermüdlicher, disziplinierter und leistungsehrgeiziger Einsatz sein vielfältiges Wirken so erfolgreich machte. Für alle, die ihn kannten, war er ein Mensch voller Ideen, Tatendrang, Schaffenskraft, Optimismus, spontaner Hilfsbereitschaft, warmherziger Gastfreundschaft und ansteckender Lebensfreude mit einem unvergleichlichen Gespür auch für die humorvollen und manchmal sogar ziemlich „verrückten“ Seiten des Lebens.
Als Wissenschaftler stimulierte und prägte er maßgeblich die Entwicklung und Institutionalisierung der Sportpsychologie in Brasilien. Aber erst seine schon in jungen Jahren bestehende und dann gelebte Affinität zur iberoamerikanischen Kultur, Mentalität und Lebensart machte ihn, wie er sich selbst verstand, auch zu einem „halben Brasilianer“. Es war stets ein herzerfrischendes Vergnügen, mit ihm zusammen zu sein, und immer ein Gewinn, mit ihm zusammen zu arbeiten und sich mit ihm fachlich auszutauschen.
Eines seiner letzten Vorhaben verdient besondere Erwähnung, weil es über die weitreichende praktische Bedeutung hinaus auch seine persönliche Lebenssituation und Lebenseinstellung kennzeichnet. Im April 2012 berichtete er geradezu enthusiastisch davon: die Erstellung eines „Manuals zur Verbesserung der Lebensqualität von Krebspatienten“ mit praktischen Ratschlägen für die Entwicklung einer positiven und aktiven Lebenseinstellung. Jeder Ratschlag sollte dabei durch entsprechende wissenschaftliche Untersuchungen untermauert werden. Den ersten konkreten Schritt hierzu konnte er noch selbst mit einer zur breiten Verteilung vorgesehenen Ratgeber-Broschüre in fachlicher Zusammenarbeit mit seinem Chirurgen verwirklichen.
Das Fortschreiten der Erkrankung erzwang zwar die vorzeitige Beendigung seines – mit der offiziellen Verabschiedung im großen Rahmen am 07.10.2011 gewürdigten – Hochschuldienstes zum 01.08.2011, jedoch keineswegs auch schon die Aufgabe der wissenschaftlichen und sportlichen Aktivitäten. Am 01.12.2012 aber waren die Kräfte aufgebraucht, die ihm die Aufrechterhaltung seines Lebensmottos, die „Work-Life-Family-Balance“, wie er es nannte, weiter ermöglicht hätten.
Die Sportpsychologie, die Sportwissenschaft und der Sport verlieren mit Prof. Dr. Dietmar Martin Samulski einen national und international fachlich wie persönlich hoch geschätzten Kollegen, wissenschaftlichen Mentor und psychologischen Berater und Trainer in der Sportpraxis. Viele enge Wegbegleiter vermissen einen unersetzlich guten Freund. In dankbarer Erinnerung an ihn gilt unser ganzes Mitgefühl seiner Familie, insbesondere seiner Frau Walkiria und seinen Kindern Gabi, Thore und Natalia.
Um grande abraço, Dietmar ...
Jürgen R. Nitsch und Dieter Hackfort