[24.03.2011] Frage: In der Öffentlichkeit wurde das Thema Sport und Depression nach dem Tod von Robert Enke verstärkt diskutiert. Haben sich auch die Bedingungen im Leistungssport positiv verändert?
Prof. Kleinert: Der Tod von Robert Enke und die damit verbundene Aufmerksamkeit in den Medien haben sicherlich für eine höhere Sensibilität und Wahrnehmung für das Thema psychische Erkrankungen im Sport gesorgt. Leider wirkt es sich aber eher nicht dahingehend aus, dass Athleten jetzt anders mit sich selbst oder Trainer anders mit Athleten umgehen. Generell wünschen wir uns eine Enttabuisierung. Wir haben noch viele Fälle, die nicht bereit sind, in der Öffentlichkeit über ihre Erkrankung zu reden. Es ist doch bezeichnend, dass zum Beispiel im Bereich Profifußball Sportler plötzlich keine Jobs mehr kriegen, wenn sie in diese Richtung etwas zugeben.
Frage: Wie kann dem Thema „Psychische Erkrankung im Leistungssport“ zum einen der Schrecken genommen, zum anderen aber auch begegnet werden?
Prof. Kleinert: Das Entscheidende ist, dass in den nächsten Jahren über die Multiplikatorenebene und über die Ebene der Vereine und Verbände immer wieder Maßnahmen und Aktionen gestartet werden, die deutlich machen: Psychische Erkrankungen können eine Erscheinung des Leistungssports sein und wir müssen etwas dagegen tun - sowohl in der Prävention als auch in der späteren Früherkennung und Behandlung. Das Tabu wird mehr und mehr verschwinden, wenn das Thema irgendwann einmal Teil der Trainerausbildung oder Teil der Betreuung wird und beispielsweise rechtzeitig erkannt wird, wenn Stressbelastungen zu hoch werden.
Frage: Im Bereich Fußball entsteht ein Netzwerk zur Stressprävention. Wie ist das Netzwerk aufgebaut und was soll es leisten?
Das Netzwerk kümmert sich nicht nur um Stressprävention, sondern generell um psychische Gesundheit im Leistungssport. Wie gehe ich mit Misserfolgen um? Wie gehe ich mit sozialem Druck um? Das Netzwerk möchte präventiv Ressourcen stärkend vorgehen und dem Athleten helfen, ein stabiles Selbst und Schutzmechanismen aufzubauen. Derzeit dreht sich vieles um psychische Erkrankungen wie Depression und Burnout, aber auch dahinter stehen andere Krankheitsbilder, die sicherlich auch relevant sind wie zum Beispiel übersteigerte Ängste beim Leistungssportler, Körperbildstörungen … Uns geht es sowohl darum, die psychische Gesundheit zu fördern als auch bestimmte Erkrankungen zu vermeiden.
Frage: Wie ist der Stand der Tätigkeiten des Netzwerkes?
Prof. Kleinert: Initiiert durch den Profifußball wurde bereits im Frühjahr 2010 beschlossen, eine Pilotmaßnahme stellvertretend und zur Orientierung für den gesamten Leistungssport zu starten. Und so haben die Initiatoren des Netzwerkes, die Robert-Enke-Stiftung, die Deutsche Sporthochschule Köln, die Verwaltungsberufsgenossenschaft (VBG) als Versicherer und die Vereinigung der Vertragsfußballspieler (VDV) mehrfach getagt. Außerdem haben wir inzwischen mit der Arbeitsgemeinschaft für Sportpsychologie (asp), dem Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp), der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN), dem Deutschen Forschungszentrum für Leistungssport und über die Zentralstelle für Sportpsychologie auch mit dem DOSB eine Reihe wichtiger Kooperationspartner gefunden. In diesem ersten Schritt war es wichtig, erst einmal die Entscheidungsträger der unterschiedlichen Institutionen zusammenzubringen und zu vernetzen. Gleichzeitig wurde von der Deutschen Sporthochschule aus eine Konzeption darüber entwickelt, wie die Arbeit unserer Netzwerkinitiative aussieht. Wir wollen auf das Wissen aufbauen, was an Expertise bereits vorhanden ist, und es sinnvoll vernetzen.
Frage: Wer wird denn die Betreuung vor Ort leisten?
Prof. Kleinert: Wir greifen auf die Arbeit von drei verschiedenen Expertenpools zu. Wir haben ein schon über die Jahre weit entwickeltes Expertennetzwerk sportpsychologische Betreuung, das über die asp organisiert ist und als eine Art Frühwarnsystem fungieren kann. Dann gibt es ein zweites Netzwerk im Bereich der frühzeitigen Edukation und ein drittes Netzwerk als eigentliches Therapienetzwerk
Kuehn 20110324T1506\">, das mittlerweile über die DGPPN stark ausgebaut wird. Dort finden sich künftig Psychiater und Psychotherapeuten zusammen, die eine bestimmte Expertise für den Leistungsport aufbauen werden.
Frage: Um welche Aufgaben wird sich das Netzwerk weiterhin kümmern?
Prof. Kleinert: Eine große Aufgabe sehen wir darin, zu informieren und aufzuklären. Wir weisen auf Informationsportalen auf Veranstaltungen hin, entwickeln Materialien für Vereine oder erstellen Empfehlungen und Leitlinien dazu, wie Sportpsychologen in der Praxis mit dem Thema
Kuehn 20110324T1506\"> umgehen sollen. Wichtig ist auch die Einrichtung einer Kontaktstelle, die den Erstkontakt und die Vermittlung bei Anfragen übernimmt. Und da das Thema psychische Gesundheit im Bereich der Fort- und Weiterbildung noch immer unterrepräsentiert ist, sehen wir es als unsere Aufgabe an, innerhalb der Initiative die Weiterbildungskonzepte mit zu gestalten.
Frage: In welchem Rahmen ist die Platzierung des Themas Sport und Depression und konkret auch die Arbeit des Netzwerkes vorgesehen?
Prof. Kleinert: Auf der Jahrestagung der asp im Juni in Köln wird es einen Arbeitskreis zum Thema „Psychische Gesundheit und Erkrankungen im Leistungssport“ geben, den ich zusammen mit dem asp-Vorsitzenden Prof. Dr. Manfred Wegner leite. Hier wollen wir deutlich machen, dass es eben nicht nur um die Behandlung von Krankheiten, sondern auch um den Aufbau von Gesundheitsressourcen geht. Die ganze Initiative „Mental Gestärkt“ am Laufen halten wird unsere Website, auf der die Bereiche Information, Erstkontakt, Früherkennung, Veranstaltungen und Weiterbildung umfassenden und vielfältigen Service zur Verfügung stellen.