Die Sportpsychologie befindet sich in Deutschland aus der Sicht von Hans Dieter Hermann auf einem guten Weg. Das Berufsfeld habe sich in den letzten zehn Jahren gut entwickelt, meint der Sportpsychologe, der unter anderem die deutsche Fußball-Nationalmannschaft betreut, in einem Interview für die asp-Website. Allerdings ist es aus seiner Sicht wichtig, die Ausbildung weiter zu verbessern und mehr Möglichkeiten für Supervision zu schaffen.
asp:Wie schätzen Sie die aktuelle Fort- und Ausbildungssituation junger angewandt arbeitender Sportpsychologen und die generelle Entwicklung des Berufsfeldes Sportpsychologe in Deutschland ein?
Hans-Dieter Hermann:
Da es mittlerweile sogar spezielle Studiengänge für Sportpsychologie gibt, ist die Ausbildungssituation eigentlich so gut wie nie zuvor – und trotzdem unübersichtlich. Auch ist unklar, welche Ausbildung und welche Qualifikationen eine Sportpsychologin oder ein Sportpsychologe haben muss, um bei einem Verein, einem Verband, bei einem Olympiastützpunkt oder in einer Nationalmannschaft arbeiten zu können. Zudem gibt es nur wenige Möglichkeiten der Weiterbildung oder der Supervision. Auch für Interessenten ist es nicht einfach zu erkennen, wer kompetent in seinem Fach ist. Das hat auch mit der problematischen Begrifflichkeit – Stichwort: Mentaltrainer – zu tun.
Das Berufsfeld hat sich jedoch insbesondere in den letzten 10 Jahren enorm entwickelt, die Nachfrage ist nach wie vor groß und weiter steigend. Die Beschäftigungsmöglichkeiten werden immer besser, zum Beispiel auch deshalb, weil zertifizierte Leistungszentren die Sportpsychologie als wichtigen Baustein der Betreuung nutzen.
asp:In einer Studie von Ehrlenspiel et al. (2011) zeigt sich, dass in Deutschland nur eine Minderheit der Sportpsychologen ihren vollständigen Lebensunterhalt durch sportpsychologische Betreuungsarbeit bestreitet. Die Autoren interpretieren dieses Ergebnis u.a. dahingehend, "dass etablierte Sportpsychologen entsprechende Aufträge und Vergütung erhalten, es vielen anderen Kolleginnen und Kollegen jedoch nicht gelingt, den Fuß in die Tür zu bekommen". Wie könnte der Einstieg in das Berufsfeld der praktischen Sportpsychologie erleichtert werden?
Hermann:
Die Frage ist, ob es für jeden so erstrebenswert oder sinnvoll ist, seinen vollständigen Lebensunterhalt durch sportpsychologische Betreuungsarbeit zu bestreiten. Die Sportpsychologie ist doch ein kleines Arbeitsfeld mit begrenzten Beschäftigungsmöglichkeiten, da unser Sportsystem auch stark auf Ehrenamtlichkeit beruht. Man kann nicht von jedem Verein erwarten, dass er ein Budget für uns hat oder gar eine Stelle schafft. Auch Physiotherapeuten und Mediziner haben nur in ganz wenigen Bereichen des Sports die Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt durch Sportlerbetreuung zu verdienen.
Aber die Sportpsychologie hat viel zu bieten, was auch für andere Teams und Leistungsträger interessant ist, so dass es für viele Kollegen ein interessanter beruflicher Mix sein kann, zum Beispiel sowohl im Sport als auch in der Wirtschaft zu arbeiten. Therapeuten können es ohnehin so gestalten und viele Hochschulangehörige betreuen zusätzlich Sportler oder Mannschaften in der Praxis.
Ein wichtiger Schritt wird jedoch sein, die Ausbildung so zu verbessern, dass Experten auch als solche erkennbar sind. Damit Interessenten wissen, wer Sportpsychologie studiert hat und das asp-Curriculum durchlaufen hat. Für Letzteres wünsche ich mir jedoch deutlich mehr Anwendungsbezug und Supervisionsmöglichkeiten. Das wird den Berufsstand weiterbringen und die Nachfrage wird weiter steigen, so dass auch mehr Kolleginnen und Kollegen die Chance bekommen, praktisch im Sport arbeiten zu können.
asp:
Im Tätigkeitsfeld "Sportpsychologie" sind neben Fach- und Methodenkompetenz auch Sozial- und Persönlichkeitskompetenz gefragt. Inwieweit ist es notwendig – in Anlehnung an die Ausbildung junger Psychotherapeuten – Supervision, Intervision und Selbsterfahrung auch zu einem festen Bestandteil der Ausbildung eines Sportpsychologen zu machen?
Hermann:
Fraglos sind diese Elemente entscheidende Schlüssel, um die Ausbildung qualitativ zu verbessern. Ich halte das für überfällig.
asp:Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) hat im letzten Jahr ein Referat für Sportpsychiatrie gegründet. Sie hat den Vorwurf erhoben, dass die Sportpsychologen zu sehr nur die Leistung im Blick hätten. Stimmt diese Einschätzung und sind dadurch andere Themen zum Beispiel klinische relevante Probleme oder die Persönlichkeitsentwicklung zu kurz gekommen? Wie sollte in Zukunft eine Zusammenarbeit zwischen Sportpsychologie und Sportpsychiatrie aussehen?
Hermann:
Nein, diesen Eindruck habe ich für die praktizierenden Kolleginnen und Kollegen gar nicht und schon gar nicht beim Thema ‚Persönlichkeitsentwicklung‘. Bei klinisch relevanten Problemen haben praktizierende Sportpsychologinnen und Sportpsychologen regelmäßig mit medizinischen und psychologischen Psychotherapeuten sowie Psychiatern zusammengearbeitet – das ist eine Selbstverständlichkeit und professionelle Notwendigkeit, wenn man dafür selbst keine Ausbildung hat.
Manche Kollegen sind zudem ja auch selbst psychologische Psychotherapeuten. Allerdings wurde hierzu von Seiten der Sportpsychologie relativ wenig geforscht und publiziert. Also: Ich sehe in der Zusammenarbeit zwischen Sportpsychologen und Sportpsychiatern keine Probleme, auch wenn es fachliche Überschneidungen gibt. Mit 40-jähriger Erfahrung in Deutschland hat unser Fach in diesem sensiblen Gebiet des Sports eine gute Position. Wie die Zukunft der Zusammenarbeit aussehen kann, zeigt meines Erachtens sehr gut die interdisziplinäre Initiative ‚MentalGestärkt‘, für die Prof. Jens Kleinert verantwortlich zeichnet und die in diesen Tagen an den Start geht.
asp:
Im letzten Jahr haben Sie den Förderpreis der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPS) bekommen. In der Begründung heißt es unter anderem: "Hans-Dieter Hermann hat die wissenschaftliche Psychologie an prominenter Stelle seit vielen Jahren in die Medien getragen und damit unser Fach im öffentlichen Leben sehr gut repräsentiert.“ Was bedeutet die Auszeichnung für Sie?
Hermann:
Die Auszeichnung habe ich ebenso als Geschenk erlebt, wie die Tatsache, dass ich für die Fußball-Nationalmannschaft arbeiten darf. Beides steht in einem engen Zusammenhang. Ich habe mich sehr geehrt gefühlt und wahnsinnig gefreut.