Immer häufiger arbeiten auch Spitzenverbände im Sport mit Psychologen zusammen und lassen ihre Teams für die Dauer großer Sportereignisse professionell begleiten. Was kann ein Sportpsychologe dabei leisten? Kai Engbert war als betreuender Sportpsychologe für den Snowboardverband Deutschland bei den Olympischen Winterspielen in Vancouver.
Was war ihr persönlicher Eindruck von den Spielen? Was nehmen Sie mit nach Hause?
Kai Engbert: Als Sportpsychologe zu den Olympischen Spielen zu fahren, ist natürlich eine tolle Aufgabe und ein persönliches wie fachliches Highlight. Die Olympischen Spiele sind einfach etwas Besonderes und im Rückblick bleiben viele positive Erinnerungen. In Vancouver selbst fand ich das „Drumrum“ jedoch oft sehr ablenkend und für Sportler, Trainer und Betreuer war es nicht immer einfach, sich auf das zu konzentrieren, was wirklich zählt. Mindestens genauso wichtig wie die Olympischen Spiele selbst war im Vorfeld die Qualifikationsphase: Die damit verbundenen Hochs und Tiefs werde ich sicher so schnell nicht vergessen.
Was war vor Ort ihre Aufgabe und wen haben Sie betreut?
Kai Engbert: Mein Betreuungsschwerpunkt lag auf den Sportarten Snowboardcross und Parallelslalom. Der Fokus meiner Arbeit lag dabei nicht allein auf den Sportlern, sondern auch für Trainer und alle anderen Betreuer sind die Olympischen Spiele eine ganz besondere Situation. Noch dazu wohnt man für 3 Wochen zusammen, da kann es schon mal zum Lagerkoller oder zu Spannungen kommen. Meine Aufgabe als Sportpsychologe war es daher, die Mannschaftsdynamik positiv beeinflussen und Reibungsverluste zu minimieren.
Die Betreuung der Sportler hat schon lange vor Vancouver begonnen. Seit 2008 arbeite ich mit den Sportlern, begleite sie zu Weltcuprennen und optimiere mit ihnen das mentale Rüstzeug. Das fängt bei Entspannungsmaßnahmen und Regulationstechniken an und hört bei Selbstgesprächen und Zeitmanagement auf. Vor Ort ist es wichtig sicherzustellen, dass sich Sportler auf ihren Wettkampf fokussieren können. Neben kurzen Gesprächen, Ablenkungen und positiven Worten habe ich in Vancouver übrigens meist Skibrillen trocken gelegt, da es bei allen Rennen ununterbrochen geregnet hat.
Wie hat sich der Arbeitstag für sie gestaltet? In welcher Situation war Ihr Eingreifen erforderlich? Haben Sie ein Beispiel für ein erfolgreiches Coaching?
Kai Engbert: Als Teil des Betreuerteams war ich natürlich oft beim Training dabei, zum einen um mit den Sportlern zu arbeiten und zu sprechen, und zum anderen um Feedback zu geben und gruppendynamische Prozesse zu moderieren. Obwohl Snowboard eine Individualsportart ist, darf man dabei nicht nur auf einzelne Sportler achten. Wichtiger ist, die Gruppe positiv zu beeinflussen und das Training und die freie Zeit positiv zu gestalten. Dazu kann auch mal gehören, ein Programm für freie Tage zu organisieren, ein gemeinsames Abendessen zu kochen oder ein paar Kartenspiele dabei zu haben.
Erfolgreich war sicherlich, dass ich alle Betreuer schon recht weit vor der Reise nach Vancouver als Team zusammengeführt habe. Dazu haben wir einen Workshop durchgeführt, bei dem Aufgaben geklärt, Rollen definiert und Pläne für kritische Situationen geschmiedet wurden. Dabei kommt man sich menschlich näher und kann sich als Team finden. Das ist entscheidend, denn bei den Olympischen Spielen bleibt dafür keine Zeit.
Sie haben mit den Snowboardern zusammengearbeitet. Was sind für diese Sportgruppe typisch belastende Momente?
Kai Engbert: Beim Snowboardsport müssen bis zu 10 Läufe hintereinander absolviert werden. Immer 2 bzw. 4 Sportler fahren gegeneinander und die besten 2 kommen eine Runde weiter. Dieser Wettkampfmodus bringt natürlich eine längere Anspannung mit sich, da man auch nach zwei sehr guten Laufen noch nichts gewonnen hat. Sportpsychologisch kommt durch den langen Rennverlauf, der Regulation von Anspannung, Konzentration und Ablenkung eine wesentliche Bedeutung zu. Die Sportler müssen lernen, zwischen den Läufen abzuschalten und sich am Start wieder voll zu konzentrieren. Im Snowboardcross kommt die Anspannung durch die hohe Unvorhersehbarkeit des Rennens hinzu. Wenn 4 Jungs nebeneinander 30 m durch die Luft fliegen und jeder die Nase vorn haben will, kann schon eine Menge passieren.
War Ihr Einsatz erfolgreich? Wenn ja, welche Bedingungen machen einen erfolgreichen Einsatz eines Sportpsychologen möglich?
Kai Engbert: Ja, ich denke schon dass mein Einsatz erfolgreich war. Wir sind mit dem 4ten Platz von Selina Jörg ganz knapp an den Medaillen vorbeigeschrammt und auch die meisten anderen Sportler haben ihre Trainingsleistung unter sehr schwierigen Wettkampfbedingungen wie Dauerregen zeigen können. Was mir persönlich sehr wichtig ist: Sportler, Trainer und Betreuer haben als Team gut zusammengearbeitet und sich gegenseitig unterstützt. In den Medien und anderen Bereichen des deutschen Spitzensports werden leider oft nur Medaillen gezählt, was ich persönlich etwas einseitig finde.
Die Rahmenbedingungen für den erfolgreichen Einsatz eines Sportpsychologen sind sicher seine Akzeptanz und Integration in die Mannschaft. Im Vorfeld eines Großereignisses sollte bereits ein guter Kontakt zur gesamten Mannschaft bestehen. Das heißt nicht, dass man mit jedem Einzelgespräche führt. Der Sportpsychologe sollte aber als „normales“ Teammitglied integriert sein und sich nicht erst einmal orientieren und alle kennen lernen müssen. Dieser Beziehungsaufbau muss natürlich langfristig vor dem Großereignis stattfinden. Ich arbeite seit Sommer 2008 für den SVD, das war im Hinblick auf Vancouver 2010 ein später, aber dennoch ausreichender Start.
Wäre Ihrer Meinung nach eine flächendeckende Betreuung der Sportler während der Spiele oder großen Wettkämpfen sinnvoll oder gar nötig?
Kai Engbert: Der Großteil der Arbeit, das gilt auch für die Sportpsychologie, muss vor einem großen Wettkampf stattfinden. Daher begrüße ich den Trend, dass immer mehr Spitzenverbände langfristig mit einem Sportpsychologen zusammen arbeiten. Ob diese Kollegen dann vor Ort dabei sind, hängt erfahrungsgemäß vom Budget und den Prioritäten des Verbandes ab. Zum anderen ist es natürlich an uns Sportpsychologen, kritisch zu prüfen, ob wir überhaupt mitfahren müssen. Das hängt stark von der Struktur, den Betreuungsinhalten und den Beziehungen im jeweiligen Projekt zusammen und kann daher nicht pauschal beantwortet werden.
Eine andere Frage ist die nach einem Teampsychologen für die Deutschen Olympiamannschaft. In anderen Bereichen, wie z.b. bei den Ärzten und Physiotherapeuten gibt es einen zentrale Einheit, die disziplinübergreifend zur Verfügung steht. Andere Länder, wie z.B. die Schweiz, haben dort auch einen Sportpsychologen integriert. Ich halte dies grundsätzlich für sehr sinnvoll. Allerdings sollte hier im Vorfeld genau überlegt werden, wie beispielsweise der Aufgabenbereich auszusehen hat und wie die Kommunikation mit den einzelnen Verbänden erfolgt. Sonst besteht die Gefahr einen „Olympiatouristen“ zu installieren, woran natürlich weder die Sportpsychologie noch irgendjemand sonst Interesse hat.