Die Sportpsychologie spielt im Konzept der Fußball-Nationalmannschaften eine immer stärkere Rolle, so auch bei den Männern von Bundestrainer Joachim Löw, die jetzt in Südafrika so überaus erfolgreich spielen. Kann man sagen, die Sportpsychologie wird jetzt endlich ernst genommen?
Werner Mickler: Ich glaube, dass die Sportpsychologie auch vorher bereits sehr ernst genommen worden ist. Nur war die Wahrnehmung bisher in der Öffentlichkeit nicht so gegeben. In anderen Sportarten war das jedoch anders. Im Fußball ist die Sportpsychologie insbesondere durch Jürgen Klinsmann bei der Weltmeisterschaft 2006 in den Fokus der Öffentlichkeit geraten.
Hatten andere Sportarten also bereits einen Vorsprung im Bereich der Sportpsychologie?
Werner Mickler: Das ist richtig, andere Sportarten haben die Wichtigkeit der Sportpsychologie sehr viel früher erkannt. Besonders die Skifahrer waren hier sehr früh dabei, gerade was den Bereich des mentalen Übens angeht, also bspw. das gedankliche Abfahren einer Skipiste.
Kann die Sportpsychologie der Fußballnationalmannschaft denn wirklich aktuell helfen Weltmeister zu werden oder geht es eher um langfristige Effekte?
Werner Mickler: Es geht hauptsächlich um langfristige Effekte. Schwierig ist natürlich die Erkenntnis, dass der Einfluss, den die Sportpsychologie auf das Erlangen solch eines Titels hat, überhaupt nicht messbar ist. Die Sportpsychologie kann nur als Baustein verstanden werden, der dazu beitragen hat, erfolgreich sein zu können. Welche Wichtigkeit dieser Baustein dann besitzt, ist leider nicht in Prozent auszudrücken.
Was kann die Sportpsychologie im Rahmen solch eines Turniers wie z.B. momentan der Fußball-WM mit all seinen Facetten (Medien, KO-Spiele) für den Sportler leisten?
Werner Mickler: Die Vorbereitung beginnt ja bereits im Vorfeld eines solchen Turniers. Dr. Hans-Dieter Hermann, der Sportpsychologe der Männer-Fußballnationalmannschaft, hat bereits lange vor der WM begonnen mit der Nationalmannschaft zu arbeiten. Zu der Arbeit zählen teambildende Maßnahmen, in denen den Spielern beispielweise deutlich gemacht wird, dass sie sich auf ihren Nebenmann verlassen können. Wenn das Turnier dann gestartet ist, kann ich als betreuender Psychologe im Sinne einer „Erste-Hilfe“-Maßnahme nur noch auf aktuelle Geschehnisse reagieren. Dieses Eingreifen war beispielsweise nach der Niederlage in der Vorrunde gegen Serbien notwendig. Den Spielern wird aufgezeigt, wie sie mit solch einer Situation umgehen können.
Im Rahmen eines Interviews sagte Oliver Bierhoff kürzlich mit Blick auf die Nachwuchsarbeit, dass „mittlerweile in fast jedem Bundesligaverein Fitnesstrainer und Sportpsychologen arbeiten.“ Warum ist es so wichtig bereits den jungen Spielern Psychologen an die Seite zu stellen?
Werner Mickler: Das lässt sich sehr gut mit den Vorgängen vergleichen, die in der Schule passieren. Dort werden auch bestimmte Techniken und Strategien gebraucht, um den vermittelten Stoff zu lernen. Genau das Gleiche braucht aber auch der Sportler in seiner Sportart. Sie müssen Techniken und Strategien entwickeln, wie sie mit kritischen und stressigen Situationen umgehen können. Ebenso müssen sie lernen, wie sie zum Zeitpunkt X in der Lage sein können ihre beste Leistung auf Kommando abrufen zu können. Je früher sie dieses gelernt haben, desto früher automatisieren sich die Prozesse und desto stabiler werden sie. Die Spieler sind später umso besser in der Lage diese Automatismen abzurufen.
Wie läuft eine Zusammenarbeit mit einer Mannschaft ab? Ist eher individuelle Betreuung notwendig, da jeder Athlet verschiedene Ansprüche und Bedürfnisse hat, oder wird auch mit der gesamten Mannschaft geübt?
Werner Mickler: Das ist von der Situation abhängig. Sicherlich wird es 1:1- Beratungen geben, in denen der Sportpsychologe auf die individuellen Bedürfnisse eines jeden Spielers eingeht. Es können aber auch gruppenspezifische Sachen sein: Beispielsweise wie unterstützen wir uns bei der Abwehrarbeit, wie versuchen wir uns gegenseitig zu helfen, vor allem in Situationen, wo es beispielsweise sehr laut ist, wie momentan in Südafrika mit den Vuvuzelas. Hier ist es wichtig zu klären und einzuüben, wie die Spieler sich auch nonverbal abstimmen können. Für solche Situationen ist es dann ganz wichtig mit der gesamten Mannschaft zu arbeiten.
Besprechen Sie während solch eines Wettkampfes Grundsätzliches oder werden gezielt einzelne Aktion besprochen?
Werner Mickler: Es geht während eines solchen Turniers dann eigentlich nur noch um das Besprechen von ganz bestimmten Situationen, denn alles Grundsätzliches sollte bereits im Vorfeld eines derartigen Wettkampfes erarbeitet worden sein. Wie bereits erwähnt, dauert es ja eine gewisse Zeit, bis ich mir bestimmte Techniken und Strategien angeeignet und diese so vertieft habe, um jederzeit darauf zugreifen zu können. Wenn wir bei dem Beispiel aus der Schule bleiben: Manchmal reicht ein kleiner Anstoß von außen bereits, um eine Lösung für ein Problem zu finden, welches vorher aber schwer zu lösen schien.
„Trainieren“ Sie bspw. mit den Sportlern eine positive Körpersprache?
Werner Mickler: Das Thema „Körpersprache“ ist sicherlich auch bei der WM vorab schon mal thematisiert worden, damit die Spieler wissen, dass sie durch eine bestimmte Körpersprache eine Wirkung erzielen können.
Ganz wichtig ist, dass mein Verhalten kongruent ist. Ich kann nicht etwas nach außen tragen, von dem ich gar nicht überzeugt bin. Das wirkt nicht und ist auch von außen zu durchschauen. Wenn ich innerlich nicht davon überzeugt bin und dann versuche dieses anders nach außen darzustellen, wenn meine positive Körpersprache nur gespielt ist, wird der Gegner es bemerken. Dieses Gespielte wird mir auch nicht weiterhelfen, wenn ich in eine kritische Situation komme. Ich kann nur mit einem Auftreten arbeiten, von dem ich auch wirklich überzeugt bin.